Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Arne Hoffmann
 

Muslim-Markt interviewt 
Arne Hoffmann, Autor des Buches "Warum Hohmann geht und Friedman bleibt" 

18.11.2005

Arne Hoffmann ist 1969 in Wiesbaden geboren. Er studierte Anfang der Neunziger Jahre Germanistik, Amerikanistik, Literatur- und Medienwissenschaft. Nach seinem Einser-Examen zum Magister arbeitete er als freier Lektor unter anderem für Bastei, Ullstein und Bertelsmann, aber auch für Doktoranden und Nachwuchsschriftsteller. 1996 erscheint sein erstes Buch in Form seiner Magisterarbeit: "Politische Korrektheit in Deutschland - Zwischen Sprachzensur und Minderheitenschutz". Schwerpunkt ist eine sprachwissenschaftliche Analyse der Nomination von Ausländern.

Später veröffentlicht er diverse Kurzgeschichten und Romane, sein Grundlagenwerk zur Geschlechterdebatte: "Sind Frauen bessere Menschen?" und ein 620 Seiten starkes "Lexikon der Tabubrüche".

Die Kellmann-Stiftung für Humanismus und Aufklärung verleiht ihm in „Würdigung einer bahnbrechenden sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und juristischen Analysen auf dem Gebiet der Gleichberechtigung von Mann und Frau“ den Belfort-Bax-Preis 2004.

In 2005 erscheinen unter anderem seine medienwissenschaftliche Analyse "Warum Hohmann geht und Friedman bleibt. Antisemitismusdebatten von Möllemann bis Walser" sowie das grenzwissenschaftlich ausgerichtete "Lexikon des Jenseits".

Hoffmann arbeitet als freier Journalist vor allem für die nach eigenen Angaben radikalliberale Zeitschrift „eigentümlich frei“. Er ist ledig und lebt in einem kleinen Dorf im Taunus.

MM: Sehr geehrter Herr Hoffmann, was war die Motivation für die Veröffentlichung Ihres Buches "Warum Hohmann geht und Friedman bleibt"?

Hoffmann: Ich war sehr verärgert und zugleich fassungslos über die Bereitschaft unserer Journalisten, mal wieder im Gleichschritt zu marschieren – diesmal freiwillig – und in den verschiedensten Fällen, statt differenziert und kritisch über Antisemitismusvorwürfe zu berichten, zu einer Meute zu werden, die auf einzelne Personen einprügelte. Ich fand das widerwärtig. Nicht weniger ärgerlich ist die Tabuisierung einer allzu scharfen Kritik an den Verbrechen der israelischen Regierung an den Palästinensern sowie mein sicherer Eindruck, dass das selbstgerechte Verhalten von Herren wie Friedman und Spiegel den Juden hierzulande weit eher schadet als nutzt. Ich war in Israel, habe mit Juden ebenso gesprochen wie mit Palästinensern, habe Yad Vashem besucht, einen Kibbuz und noch einiges mehr. Mir liegt dieses Land durchaus am Herzen. Aber mir liegen auch die Menschen- und Bürgerrechte am Herzen.

Vor ein paar Tagen erst habe ich den israelischen Friedensaktivisten Shraga Elam interviewt, und er teilt wie viele andere nicht nur aus der israelischen Friedens- und Menschenrechtsbewegung den Eindruck, dass sich die Situation im Nahen Osten für die Palästinenser sehr unheilvoll entwickelt. Ein blutiges Vorgehen findet jetzt bereits statt, da sind sich alle Menschenrechtsorganisationen, ob innerhalb oder außerhalb Israels, einig. Erleichtert, wenn nicht ermöglicht, wird dieses Vorgehen offenkundig nicht zuletzt durch deutsche Finanzhilfe und politischen Rückhalt. Wir sind keine Diktatur mehr, wir sind eine freiheitliche Demokratie, aber unsere Politiker, Journalisten und so manche Wissenschaftler schalten sich freiwillig gleich, um ein Meinungstabu durchzusetzen, das vielleicht die Vorstufe zu einem Völkermord ermöglicht. Da sich unsere Bürger aber nicht für blöd verkaufen lassen, merken sie schon, dass in Israel schlimme Dinge passieren, man sie hierzulande aber nicht entsprechend benennen darf, weil man sonst als Antisemit etikettiert wird. Die Folge ist, dass der Groll und die Verbitterung in ihnen nur noch wachsen – genauso wie das Vorurteil, dass „die Juden“ darüber bestimmen dürften, was man hierzulande sagen darf und was nicht. Der Antisemitismus, der offiziell bekämpft werden soll, wird so gerade erst geschürt.

Das alles ist ungeheuerlich, und es war höchste Zeit für mich als Medienwissenschaftler, bestimmte Mechanismen einmal zu analysieren und die damit verbundenen Probleme aufzudecken: Mit welchen Methoden versuchen uns manche Journalisten zu manipulieren, wie genau kommt es zu dieser freiwilligen Gleichschaltung, welches sind die größten Schnitzer in der Berichterstattung und die gröbsten Verstöße gegen journalistische Ethik und welche bedenklichen Folgen ziehen sie nach sich? Das halte ich für wichtige Fragen. Nicht zuletzt zitiere ich etliche Juden, die ihre Kritik an dem Verhalten Sharons oder des deutschen Zentralrats ganz unmissverständlich äußern. Ihre Stimmen lassen Journalisten in der Berichterstattung oft unter den Tisch fallen, so dass der Eindruck eines Kollektivs „der Juden“ entsteht, die solche Handlungen unterstützen. Auch dadurch wird Antisemitismus befördert.

MM: Hatten Sie keine Angst nach der Veröffentlichung allein schon bei dem Titel des Buches als Antisemit diffamiert zu werden und ihre noch junge Karriere zu gefährden?

Hoffmann: Ich hatte auch Angst, nach der Veröffentlichung von „Sind Frauen bessere Menschen?“ als frauenfeindlicher Autor angegriffen zu werden und meine junge Karriere zu gefährden. Aber wenn ich an meine „Karriere“ denken würde, hätte ich den falschen Beruf gewählt. Ich sehe es als meine Aufgabe als Autor, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und Dinge anzusprechen, über die andere lieber schweigen. Brav mit dem Strom zu schwimmen ist meine Sache nicht. Wie gesagt: Wir leben in keiner Diktatur mehr, nur in einer Art Pseudo-Diktatur der politischen Korrektheit mit all ihren Redeverboten und Ausgrenzungsmechanismen. Aber keiner muss hierzulande mehr um Leib und Leben fürchten, nur weil er seine Meinung sagt. Deshalb erwarte ich von mir und allen anderen auch den Mut, das zu tun, wenn man es für moralisch geboten und notwendig hält. Dass man sich damit auch einige Feinde macht, die zur Not auch vor den schlimmsten Verleumdungen nicht zurückschrecken, das ist vollkommen klar. Aber diese Menschen müssen mit ihrem eigenen Gewissen fertig werden. Mich freut, dass mein Buch sehr rasch nicht nur von erklärten Liberalen, sondern auch von Aktivisten für Frieden und Menschenrechte im Nahen Osten wahrgenommen wurde und dass sie es auf ihren Websites präsentieren.

MM: Nun ist Herr Hohmann sowohl politisch "fertig" gemacht worden, er musste sogar die eigene Partei verlassen, als auch persönlich schwer belastet worden, obwohl er sich objektiv nichts Strafbares zuschulden kommen lassen hat. Hingegen sind die belegten strafrechtlichen Vorwürfe gegen Herrn Friedmann nicht gerade als Kavaliersdelikte zu bezeichnen. Dennoch ist der eine "erledigt" und der andere wieder ein Medienstar. Was stimmt in unserer Gesellschaft nicht?

Hoffmann: Martin Hohmann hat inzwischen gegen mehrere Medienorgane, darunter den WDR, Spiegel-Online und Bild.T-online, juristisch durchsetzen können, dass diese die Behauptung unterlassen, er habe in seiner Rede die Juden als Tätervolk bezeichnet. Genützt hat ihm das wenig, denn da war die Hetzjagd gegen ihn längst am Ziel.

Leider lassen viele Menschen in diesem Land ihr Handeln durch die Angst bestimmen, von ihren Mitmenschen ausgegrenzt zu werden. Schon der bloße Verdacht von Antisemitismus, und sei er noch so unberechtigt, hat wegen der Verbrechen in der deutschen Geschichte eine vernichtende Kraft. Leider gleitet die momentane Diskurslage fast schon ins Totalitäre und erinnert mich an den McCarthyismus in den USA der fünfziger Jahre. Man braucht nur jemanden zu verteidigen, dem zu Unrecht der Vorwurf gemacht wurde, dass er Juden hasse, schon färbt dieser schreckliche Verdacht auch auf den Verteidiger ab. Und man braucht nur von einem Juden abzurücken, selbst wenn es dafür einen noch so guten Grund gäbe, schon ist man mit dem Ruch des Antisemitismus behaftet.

Hinter dem Verhalten vieler Politiker und Journalisten verbirgt sich meiner Einschätzung nach oft reiner Opportunismus, reine Machtpolitik, und im Grunde ihres Herzens ist ihnen die jüdische Minderheit in Deutschland vollkommen egal. Mit den wirklich Verfemten in Deutschland solidarisiert sich im übrigen kaum einer, nur mit Minderheiten, bei denen das gerade schick ist. Die Springer-Presse etwa blockiert jede auch nur etwas schärfere Kritik an der israelischen Politik, aber wenn es gegen politisch machtlose Flüchtlinge und Asylbewerber geht, gießt sie gerne Öl in die Flammen, dass es nur so lodert. Oder denken Sie an die „Bild“-Titelschlagzeile vor einigen Monaten, die sich in Empörung darüber überschlug, dass „die Türken“ angeblich über Schröders Kanzlerschaft entscheiden würden. Viele Politiker sind auf demselben Trip: Man will als besserer Mensch dastehen, deshalb bitte keine Kritik an Juden, aber seine Fremdenfeindlichkeit will man sich auch nicht nehmen lassen.

Im übrigen ist die ganze Situation eine Fundgrube für Taktierer und Denunzianten: Wer einem Menschen politisch schaden möchte, den er vielleicht aus ganz anderen Gründen nicht ausstehen kann oder dessen Meinung er unterdrücken möchte, der wirft diesem Antisemitismus vor, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Judith Butler sagte dazu: „Wenn wir aus Angst davor, als antisemitisch etikettiert zu werden, unsere Kritik begraben, überlassen wir denen die Macht, die den freien Ausdruck politischer Überzeugungen beschneiden wollen.“ Und das geht nicht. Man muss gegen beides vorgehen: gegen Antisemitismus und gegen falsche Unterstellungen.

MM: Aber manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass bestimmte Personen etwas sagen dürfen, was anderen verboten ist. Während einige auch bei dem geringsten Verdacht, man würde heutige Israelis mit Nazis vergleichen, Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen mussten, kann z.B. eine Dolores M. Bauer ein ganzes Buch veröffentlichen mit dem Titel: "Wenn aus Opfern Täter werden." Warum gibt es derartige extreme Ungleichbehandlungen?

Hoffmann: Das geht ja sogar noch viel weiter. Jamal Karsli hatte seine umstrittenen Äußerungen zur israelischen Politik ursprünglich als Mitglied der Grünen gemacht, was damals niemanden groß interessierte. Sobald er zur FDP überwechselte, wurden sie zum Skandal gemacht. „Staatsterrorismus“ hatte auch unser ehemaliger grüner Umweltminister Jürgen Trittin Israel bereits vorgeworfen, aber als Möllemann dasselbe tat, überschlugen sich die Grünen vor Empörung. Und da spielt eben hinein, dass der Antisemitsmusvorwurf insbesondere von Teilen der Linken inzwischen häufig als politische Waffe gegen Menschen benutzt wird, die bei den „Anklägern“ aus ganz anderen Gründen ohnehin schon unbeliebt sind – mit dem Versuch, ihren politischen Einfluss auf diese Weise auszuschalten.

Was man bei der Ursachenforschung bei unbegründeten Antisemitismusvorwürfen auch nicht vergessen darf ist, dass manchmal der Zeitpunkt eine entscheidende Rolle spielt. Das gilt insbesondere, wenn diese Unterstellung als Ablenkungsmanöver dienen soll. Sie kocht ja vor allem dann hoch, wenn das israelische Militär gerade besonders brutal vorgeht. Zuletzt war das in der Möllemann-Debatte so: Es brauchten nur besonders heftige Beschuldigungen in den Raum geschleudert werden, schon diskutierte man nicht mehr über Folter und Liquidierungen in Israel, sondern darüber, ob Möllemann ein Judenhasser wäre oder nicht. Und dass die „Affäre Hohmann“ ausgerechnet zu einem Zeitpunkt hochgepusht wurde, als die rot-grüne Bundesregierung lieber nicht so intensiv über das damals von ihr begonnene Reformchaos sprechen wollte, hat ja sogar die Berliner „taz“ bemerkt.

Und schließlich scheint es oft nur die Frage, ob sich eine einflussreiche Person oder Instanz plötzlich über irgendwelche Bemerkungen aufregt. Ich behandele in meinem Buch „Warum Hohmann geht und Friedman bleibt“ ja eine ganze Reihe von Äußerungen und Testen, bei denen zahlreiche Leser und Zuhörer nicht das Geringste zu beanstanden fanden. Die Hohmann-Rede gehört übrigens dazu, aber es gibt noch bizarrere Fälle. Und plötzlich sagt jemand mit großer Empörung in der Stimme: „Das ist antisemitisch!“ Auf einmal finden es viele andere Leute auch antisemitisch, weil sie sich denken: „Hoppla, wenn das jetzt wirklich antisemitisch ist, und ich hab nichts gesagt – in welchen Verdacht bringe ich mich denn da?“ Im Zweifel also lieber hurtig distanzieren, bevor die einen auch noch mit Dreck bewerfen. Das erinnert in der Tat an den Ungeist von McCarthy.

MM: Manche ihrer Arbeiten würde man aus muslimischer Sicht als "schamlos" ansehen. Gibt es für Sie ein akzeptables Schamgefühl oder wollen Sie alle Tabus brechen?

Hoffmann: Mein Schamgefühl wäre berührt, wenn ich etwas täte, was meinem Gewissen entgegenläuft oder das ich als unehrenhaft empfinde. Ich respektiere natürlich auch das sexuelle Schamgefühl anderer Menschen, ihre selbstgezogenen Grenzen, und würde diese nicht übertreten. Jemand, der aber von sich aus meine erotischen Erzählungen liest, kann sich nicht hinterher beklagen, dass dabei sein Schamgefühl verletzt worden sei. Im übrigen geht es in keinem meiner Texte um Tabubrüche nur um des Tabubruchs willen. Das wäre etwas für pubertierende Jugendliche. In aller Regel sind die erotischen Stellen in meinen Geschichten nur ein Zuckerüberzug für die Pille darunter – das können zwischen Gesellschaftskritik und philosophischen oder spirituellen Gedankengängen die verschiedensten Dinge sein. Meine Storys sind oft sehr doppelbödig. Nehmen Sie etwa meine Erzählung „Passion“, die in meinem Kurzgeschichtenband „Wachs in deiner Hand“ erschienen ist. Auf der Oberfläche liest sie sich als die Beschreibung einer Orgie, aber auf einer tieferen Ebene als eine Allegorie auf die Leiden Christi. Diese Doppeldeutigkeit wird schon im Titel deutlich: „Passion“ steht einmal für das englische Wort für Leidenschaft und zugleich für die Passionsgeschichte in der Bibel. Manche Psychoanalytiker glauben, dass hinter vielen religiösen Texten unterdrücktes sexuelles Begehren steht. Ich glaube, dass man hinter vielen erotischen Texten eine verdrängte Sehnsucht nach religiösen Erfahrungen finden kann.

Gerade in den letzten Tagen habe ich übrigens einen Roman fertig gestellt, in dem ich mich mit der Zwangsprostitution in Deutschland auseinandersetze. Auch das halte ich für ein wichtiges Thema. Viele Menschen wissen gar nicht, was alles direkt unter ihrer Nase vorgeht.

MM: Da wären wir wieder bei ihrem aktuellen Buch. Friedmann hatte wohl mit Zwangsprostituierten zu tun. Dennoch war er innerhalb kürzester Zeit wieder ein Medienstar. Wie funktionieren die Mechanismen der Manipulation, dass so etwas geschehen kann?

Hoffmann: Klüngelei? Man kennt sich in Journalistenkreisen und hilft sich gegenseitig in den Sattel? Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus? Oder ist es schlicht Opportunismus – die Hoffnung, dass Friedman wegen seiner hohen Bekanntheit wieder für Quote sorgen wird? Ich glaube nicht, dass wir es hier mit regelrechter Manipulation zu tun haben. Wenn dem so wäre, funktioniert sie nicht. Einige versuchen, Friedman wieder zu etablieren, als ob nichts gewesen wäre, das ist richtig. Es gab entsprechende Artikel in dem jüdischen Online-Magazin „hagalil“ und in der „Zeit“, in der man versucht hat, schon die Ermittlungen gegen Friedman anrüchig und antisemitisch erscheinen zu lassen. Man rege sich „fürchterlich über das Privatleben von Michel Friedman auf“, es werde „in seinem Bett gewühlt“, und in einer „ekelhaften Schmutzkampagne“ wolle man „dem Friedman endlich am Zeug flicken“. Aber bei den allermeisten Bürgern verfängt diese Propaganda nicht. Am 9. November dieses Jahres etwa berichtete die Berliner „tageszeitung“ über die Empörung, die Friedman auslöste, als er als Redner bei einer Gedenkfeier zur Pogromnacht von 1938 auftreten wollte. Diese Empörung wurde am lautstärksten nicht von Antisemiten geäußert, auch nicht von Frauenrechtsgruppen wie Terre des Femmes, sondern von prominenten deutschen Juden wie Evelyn Hecht-Galinski und Julius Schoeps. Ein Mann, der Zwangsprostituierte aus der Ukraine für seine Sexorgien buche, sei kaum die passende Person, um die Opfer des Holocaust zu vertreten. Dass Friedman sich bei den von ihm benutzten Frauen nie entschuldigt habe, wurde ihm in den letzten Monaten immer wieder und wieder vorgehalten. Ihn mit seinem Verhalten wieder unbekümmert zum „Medienstar“ machen zu wollen war ein Versuch. Schlimm genug. Aber im Moment sieht es so aus, als ob dieser Versuch scheitert.

MM: Ihre Magisterarbeit behandelte den Minderheitenschutz. Können Sie fast ein Jahrzehnt danach verstehen, dass sich Muslime in diesem Land derzeit von den meisten Medien ungerecht behandelt fühlen?

Hoffmann: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Es gab hier leider immer schon bestimmte Vorurteile. Mit der Islamfeindlichkeit einer Alice Schwarzer beispielsweise habe ich mich in „Sind Frauen bessere Menschen?“ bereits kritisch beschäftigt. Das hat sich leider nur zum Schlechteren entwickelt. Seit den furchtbaren Terroranschlägen in den letzten Jahren haben viele Menschen einfach Angst, und wenn jemand Angst hat, verliert er die Fähigkeit zu differenzieren. Er sieht dann nicht mehr einzelne Menschen, sondern nur noch ein Kollektiv, das ihm insgesamt als fremd, also bedrohlich erscheint. Ärgerlicherweise werden in so manchen Medien nicht nur berechtigte Ängste aufgegriffen, sondern bestimmte Ängste überhaupt erst geschaffen, übersteigert und potenziert. Schauen Sie, eine fundierte, durchaus auch provokative Kritik am Islam finde ich genauso berechtigt wie an der christlichen Religion oder anderen westlichen Weltanschauungen. Meine eigenen Bücher zu anderen Themen sind auch provozierend und differenziert zugleich. Und das kritische Buch „Der Aufbruch“ von der lesbischen Feministin Irshad Manji, in dem diese für einen in ihren Augen aufgeklärteren Islam wirbt, habe ich beispielsweise mit Interesse gelesen. Aber was mich manchmal fast schon erschreckt, das ist diese dumpfe Wucht von Klischees, die in einigen Medien mit inzwischen schon recht dreister Offenheit gegen den muslimischen Teil unserer Bevölkerung geführt wird. Da wird eine der großen Weltreligionen grosso modo auf die Extremisten in ihr reduziert – wobei leider oft die Extremisten auch die lautesten sind, sie also auch am ehesten von außen wahrgenommen werden. Im kollektiven Unterbewussten verknüpfen viele Nicht-Muslime den Islam heute wohl vor allem mit Rückständigkeit und Terror. Das Bild der Muslime, wie ich es in den Medien sehe, und die Musliminnen und Muslime, die ich persönlich kenne, haben wenig miteinander zu tun. Und da fällt es schon auf, dass viele Journalisten zwanghaft auch dort nach Antisemitismus suchen, wo gar keiner ist, und zur Not wegen einer dämlichen Rede über Monate hinweg eine Kampagne fahren, dass sie aber das schwierige Thema des Antiislamismus oft übergehen.

Vor einem Jahr etwa ist hier das Buch „Der neue Antisemitismus“ der jüdischen, US-amerikanischen Radikalfeministin Phyllis Chesler erschienen, in dem diese Araber und Muslime kollektiv als barbarisch und primitiv abwertet. Diese Menschen hätten nichts anderes vor, als die wertvollen Juwelen aus unseren Gotteshäusern und Museen zu stehlen, unsere schönen Kirchen und Synagogen abzubrennen oder gleich ihre Moscheen drüberzustülpen. Außerdem würden sie die Christen und Juden versklaven und umbringen wollen. Das alles sind fast wörtliche Zitate. Hier wird also eine vorgebliche Zurückweisung von Antisemitismus für eine extreme Hetze gegen Muslime ausgenutzt. Solche Pamphlete sind eigentlich sehr entlarvend, genauso wie die Agitationen anderer jüdischer Lobbyisten sehr entlarvend sind, aber das wird heutzutage nur begrenzt thematisiert.

Eine bedeutsame Frage ist, welche Macht Muslime selbst haben, die Vorurteile gegen sie zu durchbrechen. Vielleicht hilft es etwas, wenn sie konstruktive Kritik auch als Gesprächsangebot annehmen, statt sich davor zu verschließen und wenn sie sich noch deutlicher von den Extremisten unter ihnen distanzieren? Gut, häufig wird das ja auch getan: Ich war beispielsweise wenige Tage nach den Anschlägen von London zu Gast in der Wiesbadener Darul-Taqwa-Moschee, und das Erste, was der Imam in unserem Gespräch tat, war klarzumachen, dass solche Verbrechen nicht im Sinne des Koran seien. Aber hier muss wohl von beiden Seiten noch eine Menge getan werden, bevor die Verständigung wirklich funktioniert.

MM: Sind wirklich die "Extremisten" am "lautesten" oder ihre Sprachrohre, also die Mainstream-Journalisten? Denn schließlich kennt man eine ganze Reihe von "Anführern" jener Terroristen in der westlichen Welt viel besser als in der muslimischen, wo sie nichts zu vermelden haben! Oder anders gefragt: Sind vielen Journalisten "Extremisten" und "Hassprediger" nicht lieber als moderate Stimmen?

Hoffmann: Warum kennt man denn in der westlichen Welt die Anführer jener Terroristen so besonders gut? Weil sie hier Anschläge begehen, über die Journalisten berichten müssen. Die können sie ja nicht einfach übergehen. Dass Terroristen die Medien und ihre Bildermacht bewusst benutzen und in ihre Anschläge mit einkalkulieren, wurde am Beispiel des World Trade Centers ja bereits bis zum Exzess durchanalysiert. Und ob vielen Journalisten die Extremisten lieber sind als die moderaten Stimmen? Zugegeben, mit jedem „Hassprediger“ habe ich ein Thema, auf das ich als Journalist über lange Zeit hinweg zurückgreifen kann – und Konflikte oder mutmaßliche Bedrohungen steigern die Auflage, während Berichte über moderate Stimmen nicht so aufregend sind. Insofern könnten Sie mit Ihrer Vermutung Recht haben. Ich glaube aber, dass das ein sich selbst erschaffendes Dilemma ist, das es bei jedem anderen Thema auch gibt. Also eher eine Gedankenlosigkeit als eine böse Absicht in dem Sinne, dass Extremisten als Vorwand genommen werden, um einem „Feindbild Islam“ zu huldigen. Medien lieben Extreme.

MM: Was empfehlen Sie deutschen Muslimen und damit Bürgern dieses Landes, um aus der aktuellen Situation des Generalverdachtes herauskommen zu können?

Hoffmann: Das halte ich für eine außerordentlich schwierige Frage. Sie zum Beispiel sind Journalist und im Gegensatz zu mir Experte für den Islam und die Medienberichterstattung darüber und haben darauf offenbar noch keine Antwort gefunden. Wie könnte ich dazu eine passende Lösung aus dem Ärmel schütteln? Ich empfände es auch etwas anmaßend, wenn ich deutschen Muslimen hier Empfehlungen geben würde. Vielleicht machen Sie ja bereits alles richtig, und es braucht nur seine Zeit, bis es in den Köpfen der Menschen ankommt? Vielleicht wäre Ihre Arbeit aber auch einfacher, wenn es mehr Muslime in wichtigen Positionen unserer Medien gäbe? Mir fallen aus dem Stand nur einige wenige Journalisten ein, von denen ich glaube, dass sie Muslime sind, aber keiner von ihnen ist einem wirklich breiten Publikum bekannt (und wenn doch, dann nicht explizit als Muslim). Dieses Ungleichgewicht würde dann natürlich auch zu einer einseitigen Berichterstattung führen. Ganz allmählich beginnt sich das wohl gerade zu ändern, auch mit Internetprojekten wie diesem hier, und immer mehr Muslime werden von reinen Objekten der Berichterstattung auch zu Akteuren.

Nicht zuletzt scheint mir ein zentrales Problem zu sein, dass sich viele Nicht-Muslime für den Alltag von Muslimen nicht besonders interessieren, sondern sie nur dann wahrnehmen, wenn sie im Zusammenhang mit brisanten – „spannenden“, bedrohlichen – Konflikten stehen. Dieses Dilemma eint Sie allerdings mit sehr vielen Minderheiten, einschließlich der Juden, der Homosexuellen und so weiter. Ich habe keine Ahnung, wie man das eigentlich notwendige Interesse im nötigen Ausmaß schaffen kann. Bislang gelingt mir das ja nur mit Mühe bei meinen eigenen politischen Anliegen.

Mal eine Bemerkung am Rande: Die Amis haben manchmal eine Methode der subtilen Integration von Minderheiten in der öffentlichen Wahrnehmung, die ich ganz ansprechend finde. Und zwar landen Muslime und Juden bei ihnen oft als Haupt- oder Nebenfiguren in Comic- oder TV-Serien, die über einen gewissen Kultcharakter bei einem großen Publikum verfügen. Beispielsweise hatten wir in den letzten Jahren ein afghanisches Mädchen als Mitglied der „X-Men“, den Iraki Sayid Jarrah als einen der Verschollenen von „Lost“, einen jüdischen Anwalt in „Picket Fences“, einen jüdischen Lehrer in „Boston Public“ und die jüdische Familie Cohen in „O.C.“. Da kann man jetzt drüber lächeln und das als trivial abtun, aber hierzulande finde ich sowas nur selten und wenn, dann verkrampft-pädagogisch wie in der „Lindenstraße“. Ich glaube, dass solche vermeintlich trivialen, fiktiven Texte das Bewusstsein der Menschen mehr prägen als noch so viel gutgemeinte Aufklärung. Allerdings ist es hier der Mainstream, der die Minderheiten integriert; insofern ist Ihnen dieser Teil meiner Antwort wohl keine große Hilfe.

Insgesamt scheinen mir all die in diesem Gespräch angeschnittenen Fragen auf ein und dasselbe Grunddilemma zurückzuführen zu sein: das, was der ARD-Redakteur Hartmann von der Tann in der Dokumentation „Die Meute – Macht und Ohnmacht der Medien“ als das „Herdenproblem“ des Journalismus bezeichnete. Ein Leitmedium besetzt ein bestimmtes Thema, gibt die Stoßrichtung vor, und etliche andere Journalisten springen auf in einem Wettbewerb, daraus eine möglichst große „Story“ zu machen. Es entsteht ein regelrechter „peer pressure“, ein Gruppendruck, bei dem kaum jemand auszuscheren wagt. Fälle wie die von Jürgen Möllemann und Martin Hohmann wurden innerhalb der Medien bezeichnenderweise fast mit einer Einheitsmeinung wahrgenommen, im Rest der Bevölkerung jedoch sehr unterschiedlich. Während Martin Hohmann etwa in der „Bild“-Zeitung über Wochen hinweg als „Hetzer“ gebrandmarkt wude und sich andere Zeitungen in Beschimpfungen wie „Rassist“ und „Idiot“ hineinsteigerten, befanden in Umfragen 42 Prozent der Bevölkerung, Hohmann habe nichts Schlimmes getan. Und Möllemann hatte sogar trotz durchgehender Medienverdammung satte Mehrheiten in den Umfragen hinter sich. Wenn die Parteispitzen von FDP und CDU souverän geblieben und den Medienvertretern gesagt hätten: „Gut, dann macht mit euren Unterstellungen und euren Kampagnen eben weiter, bis Ihre Leser dem endgültig überdrüssig geworden sind, wir stehen zu unseren Leuten“ – das hätte vermutlich sogar geklappt. Leider war der Umgangsstil vieler Journalisten unter jedem Niveau. „Schreibe so, dass du dem, über den du schreibst, in die Augen schauen kannst“ nennt der FAZ-Korrespondent Karl Feldmeyer seine Maxime. In den Antisemitismus-Kampagnen der letzten Jahre ist dieses Prinzip oft schwer verletzt worden.

Dieses „Herdenproblem“ erklärt aber auch, warum bestimmte Themen (etwa der Islam) häufig nur sehr einheitlich dargestellt werden und es zu bestimmten anderen Themen ein Meinungstabu gibt. Nehmen wir mal zur Anschauung eines meiner Spezialgebiete: die überraschend hohe Rate von häuslicher Gewalt durch Frauen gegen Männer. Als ich im Jahr 2000 darüber in meinem Buch „Sind Frauen bessere Menschen?“ berichtet habe, wiesen 80 Verlage einer nach dem anderen das Manuskript zurück, und ich konnte nur in einer kleinen, unabhängigen Frankfurter Zeitschrift einen Artikel darüber veröffentlichen. Weil wir mit unserer Aufklärungsarbeit nicht locker gelassen haben, gingen weitere Beiträge zu diesem Thema inzwischen nicht nur durch alle bekannten Zeitungen von der „Welt“ bis zur „Frankfurter Rundschau“ und durch mehrere Fernsehmagazine (wie etwa „Kontraste“) sondern auch in trivialere Medienformate wie die Talkshow „Jürgen Fliege“ oder Zeitschriften wie „Max“ oder „Young woman´s magazine“. Inzwischen hat auch das Bundesfamilienministerium dieses Problem erkannt und möchte sich darum kümmern. Ich will damit nur illustrieren, dass trotz des „Herdenproblems“ die Tabuisierung eines Themas auch kippen kann und es sich dann fast schon zu einem Trendthema entwickelt. Das kann auch im Bereich der Nahostdebatte funktionieren. Wobei es hier wichtig ist, rechtzeitig einen verantwortlichen Umgang damit vorzubereiten. Shraga Elam etwa befürchtet, dass wenn plötzlich der Deckel nicht mehr auf dem Kessel der Meinungstabus über die israelischen Menschenrechtsverletzungen gehalten werden kann, sich auch ganz allgemeine aggressive Ressentiments über Juden entladen könnten. Vernünftiger wäre es, die Debatte vorher weniger neurotisch geraten zu lassen.

In ähnlicher Weise kann durch beharrliche und geduldige Medienarbeit vermutlich auch der Islam sein momentanes Negativ-Image verlieren. Dass es zuvor zu einer ganzen Reihe von Frustrationserlebnissen kommen wird, ist bitter, aber wohl nicht zu vermeiden. Denken Sie einmal an führende und prägende Persönlichkeiten unserer Gesellschaft, beispielsweise Joschka Fischer oder „Spiegel“-Chefredakteur Stefan Aust. Die sind in den siebziger Jahren als Radikale beschimpft worden, Fischer wurde meines Wissens sogar vom Verfassungsschutz beobachtet, und man hat versucht, sie politisch auszugrenzen. Nun gelangt natürlich nicht jeder Vertreter einer Minderheitenmeinung später in die Position, gesellschaftliche Themen zu besetzen, aber die Chance dazu wächst, je beharrlicher und zielstrebiger er in seinem Vorgehen ist.

MM: Gut dann fragen wir Sie abschließend nach dem Ehrgefühl bzw. Berufsethos deutscher Journalisten. Was kann von wem getan werden, damit der Herdentrieb überwunden werden kann, um einen Journalismus zu fördern, dessen Nutzen für die Gesellschaft größer ist, als ihr Schaden.

Hoffmann: Ich hatte schon nach der Berichterstattung über Jürgen Möllemann einen Artikel mit dem Titel „Wir brauchen eine neue Medienethik“ mit ganz konkreten Aufforderungen zu einer fairen Berichterstattung veröffentlicht und ihn auch den Redaktionen verschiedener großer Zeitungen zugeschickt. Genützt hat das wenig, im Fall Martin Hohmann ist genau dasselbe noch einmal passiert. Aus diesem Zeitschriftenbeitrag ist ein ausführliches Kapitel für mein Hohmann-Friedman-Buch geworden. Im Rahmen dieses Interviews kann ich meine Forderungen leider nur sehr gerafft wiedergeben.

In einem ersten Schritt sollten sich Journalisten darüber klar werden, dass es dieses Herdenproblem überhaupt gibt und ihm bewusst entgegensteuern. Pädagogen machen dasselbe beim so genannten Pygmalion-Effekt (der Neigung, einen Schüler nicht nach seiner tatsächlichen Leistung sondern den Vorurteilen seines Lehrers zu benoten). Ich muss mir also als Journalist überhaupt erst mal bewusst machen, dass meine Meinung nicht unabhängig entsteht, sondern stark durch meine Vorurteile gebildet wird, meine Wahrnehmungsfilter und durch meine „peer group“, also die Ansichten meiner Kollegen. Heute ist es oft umgekehrt: Einer schreibt vom anderen ab und denkt sich: „Wenn alle dasselbe sagen, wird es wohl stimmen.“ Oft sind „alle“ aber nur Mitglieder des journalistischen Umfelds und nicht die Allgemeinheit. Wenn ich als Journalist in einer verantwortungsvollen Position bin, beispielsweise Chefredakteur, ist es meine Aufgabe, zu abweichenden Meinungen zu ermuntern, statt alle meine Leute auf einer Linie marschieren zu lassen.

Des weiteren sollte ich, wenn ich als Journalist über einen Konflikt zweier Parteien berichte, beide Seiten fair und halbwegs zu gleichen Teilen zu Wort kommen lassen. Während der Möllemann-Affäre wurden ganze Talkshows (ARD-„Presseclub“, 3sat-„neunzehn-zehn“) ausschließlich mit Möllemann-Gegnern besetzt, was statt zu kontroversen Diskussionen zu absurden Schauprozessen führte. Erich Böhme funktionierte seine sonst grundsätzlich mit mehreren Gästen besetzte Talkshow damals dergestalt um, dass darin ausschließlich Michel Friedman zu dieser Debatte auftrat. Interviews mit den beiden Kontrahenten unterschieden sich grundsätzlich darin, dass man Friedman unterwürfig ein Mikrofon vorhielt (löbliche Ausnahme: Sandra Maischberger) und Möllemann mit allen möglichen rhetorischen Tricks zu „überführen“ versuchte. Auch Spiegel und Friedman hatten Äußerungen getan, die durchaus kritikwürdig waren; diese Kritik erfolgte allerdings nur sehr selten. Gottseidank geschah das alles in so selbstgerechter Plumpheit, dass es etlichen Zuschauern auffiel, wovon viele Diskussionsbeiträge im nicht dergestalt manipulierten Internet zeugten. Aber wenige Jahre später geschah im Fall Hohmann dasselbe: In Talkshows kamen Martin Hohmann und seine Unterstützer praktisch nie zu Wort, Zeitungen hielten kritische Leserbriefe über Wochen zurück und wer immer für die Meinungsfreiheit eintrat oder seinen Eindruck schilderte, Hohmann sei lediglich missverstanden worden, wurde als Rechtsradikaler denunziert.

Man muss als Journalist aufpassen, dass man sich nicht in blindem Eifer zum Verfolger von Menschen macht, so dass daraus eine Hetzjagd entsteht. Insbesondere muss ich die möglichen Folgen meiner Handlungen für mein „Opfer“ reflektieren. Bei der Berichterstattung über Möllemann und Hohmann beispielsweise steigerten sich Journalisten in persönliche Beleidigungen, Dämonisierungen und rufschädigende Verleumdungen hinein. Unter Hunderten von mir gesichteten Artikeln im Fall Hohmann wies ein einziger Beitrag (in den „Bremer Nachrichten“) darauf hin, daß die Auseinandersetzung auch eine menschliche Komponente habe: „Da Hohmann erst seit fünf Jahren im Parlament sitzt, hätte der Familienvater noch keinen Anspruch auf die übliche Altersversorgung.“ Die Warnung eines Fraktionsmitglieds - „Er wäre arbeitslos und würde ins Bodenlose fallen“ – wird ebenso zitiert wie die Sorge des baden-württembergischen CDU-Landesvorsitzenden Brunnhuber: „Man darf jemanden nicht so lange treiben, bis er am Ende von einer Brücke springt“. Praktisch alle anderen Journalisten waren dermaßen im Jagdfieber, dass ihnen die Gefahr, dass sich Hohmann etwas antun würde wie zuvor Möllemann oder dass ein aufgehetzter Leser zur Gewalt greifen könnte, völlig gleichgültig schien. Der Zürcher Therapeut Mario Gmür vergleicht Medienopfer übrigens mit Traumaopfern – nur dass sie nicht „körperliche Todesangst“, sondern „soziale Todesangst“ litten. Während bei körperlichen Bedrohungen das äußere Trauma einmal beendet sei, höre die Angst bei Opfern der Medien niemals auf. Generell sollte weit eher zur Sache diskutiert werden als mit persönlichen Angriffen.

Für geradezu skandalös halte ich, dass Nachricht und Kommentar in diesen Debatten längst nicht mehr getrennt werden, sondern hochsubjektive Wertungen wie selbstverständlich in Nachrichten einfließen. Da heißt es dann etwa bei ntv, Möllemann habe sich „für seine antisemitischen Äußerungen“ entschuldigt. Nach Möllemanns Tod wurde beispielsweise bei Sabine Christiansen sachlich richtig von dessen „Anti-Sharon-und-anti-Friedman-Flugblatt“ geschrieben. Vorher war es allerorts ein „antisemitischer Flyer“ gewesen. Offenbar war die journalistische Logik dahinter: Wer zwei Juden kritisiert, kritisiert sie alle.

Ähnlich gründlich habe ich mich mit der Medienberichterstattung über den Islam noch nicht beschäftigt. Was mir allerdings auch bei oberflächlicher Draufsicht auffällt und hochproblematisch erscheint, ist die aktuelle Tendenz, Muslime zu entindividualisieren und sie häufig nur als Kollektiv, als gesichtslose Masse zu zeigen. Damit wirken sie besonders bedrängend, fremd und bedrohlich. Ich sehe auf Titelbildfotos auch großer Zeitschriften Scharen verschleierter Frauen oder im Gebet vornübergebeugter Moslems. Das Motto dahinter lautet offenbar: Je mehr, desto besser, und je weniger man den einzelnen Menschen erkennt, desto besser. Dass Muslime sich voneinander stark unterscheiden und beispielsweise völlig unterschiedliche Auffassungen haben können, wird dabei übergangen; sie erscheinen als ein Block mit fast einheitlichem Bewusstsein. Wir kennen diese Methode aus antisemitischen Zusammenhängen („Weltjudentum“) ebenso wie aus radikalfeministischen („das Patriarchat“, „die frauenunterdrückenden Männer“); in den frühen neunziger Jahren wurden vor allem Flüchtlinge als gesichtslose, bedrohliche Masse dargestellt („Asylantenspringflut“), was dann bei einigen verängstigten und gewaltbereiten Dummköpfen ja auch zu Mord und Brandstiftung als „Gegenwehr“ führte. Es ist vermutlich die Ähnlichkeit zwischen den Bildern damals und heute, die mich manchmal schaudern lässt.

MM: Herr Hoffmann, wir danken Ihnen für das Interview.

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