MM:
Sehr geehrter Herr Hoffmann, was war die Motivation für die Veröffentlichung
Ihres Buches "Warum Hohmann geht und
Friedman bleibt"?
Hoffmann:
Ich war sehr verärgert und zugleich
fassungslos über die Bereitschaft unserer Journalisten, mal wieder im
Gleichschritt zu marschieren diesmal freiwillig und in den
verschiedensten Fällen, statt differenziert und kritisch über
Antisemitismusvorwürfe zu berichten, zu einer Meute zu werden, die auf
einzelne Personen einprügelte. Ich fand das widerwärtig. Nicht weniger
ärgerlich ist die Tabuisierung einer allzu scharfen Kritik an den Verbrechen
der israelischen Regierung an den Palästinensern sowie mein sicherer
Eindruck, dass das selbstgerechte Verhalten von Herren wie Friedman und
Spiegel den Juden hierzulande weit eher schadet als nutzt. Ich war in
Israel, habe mit Juden ebenso gesprochen wie mit Palästinensern, habe Yad
Vashem besucht, einen Kibbuz und noch einiges mehr. Mir liegt dieses Land
durchaus am Herzen. Aber mir liegen auch die Menschen- und Bürgerrechte am
Herzen.
Vor ein paar
Tagen erst habe ich den israelischen Friedensaktivisten Shraga Elam
interviewt, und er teilt wie viele andere nicht nur aus der israelischen
Friedens- und Menschenrechtsbewegung den Eindruck, dass sich die Situation
im Nahen Osten für die Palästinenser sehr unheilvoll entwickelt. Ein
blutiges Vorgehen findet jetzt bereits statt, da sind sich alle
Menschenrechtsorganisationen, ob innerhalb oder außerhalb Israels, einig.
Erleichtert, wenn nicht ermöglicht, wird dieses Vorgehen offenkundig nicht
zuletzt durch deutsche Finanzhilfe und politischen Rückhalt. Wir sind keine
Diktatur mehr, wir sind eine freiheitliche Demokratie, aber unsere
Politiker, Journalisten und so manche Wissenschaftler schalten sich
freiwillig gleich, um ein Meinungstabu durchzusetzen, das vielleicht die
Vorstufe zu einem Völkermord ermöglicht. Da sich unsere Bürger aber nicht
für blöd verkaufen lassen, merken sie schon, dass in Israel schlimme Dinge
passieren, man sie hierzulande aber nicht entsprechend benennen darf, weil
man sonst als Antisemit etikettiert wird. Die Folge ist, dass der Groll und
die Verbitterung in ihnen nur noch wachsen genauso wie das Vorurteil, dass
die Juden darüber bestimmen dürften, was man hierzulande sagen darf und
was nicht. Der Antisemitismus, der offiziell bekämpft werden soll, wird so
gerade erst geschürt.
Das alles ist
ungeheuerlich, und es war höchste Zeit für mich als Medienwissenschaftler,
bestimmte Mechanismen einmal zu analysieren und die damit verbundenen
Probleme aufzudecken: Mit welchen Methoden versuchen uns manche Journalisten
zu manipulieren, wie genau kommt es zu dieser freiwilligen Gleichschaltung,
welches sind die größten Schnitzer in der Berichterstattung und die gröbsten
Verstöße gegen journalistische Ethik und welche bedenklichen Folgen ziehen
sie nach sich? Das halte ich für wichtige Fragen. Nicht zuletzt zitiere ich
etliche Juden, die ihre Kritik an dem Verhalten Sharons oder des deutschen
Zentralrats ganz unmissverständlich äußern. Ihre Stimmen lassen Journalisten
in der Berichterstattung oft unter den Tisch fallen, so dass der Eindruck
eines Kollektivs der Juden entsteht, die solche Handlungen unterstützen.
Auch dadurch wird Antisemitismus befördert.
MM:
Hatten Sie keine Angst nach der Veröffentlichung
allein schon bei dem Titel des Buches als
Antisemit diffamiert zu werden und ihre noch junge Karriere zu gefährden?
Hoffmann:
Ich hatte auch Angst, nach der Veröffentlichung von Sind Frauen bessere
Menschen? als frauenfeindlicher Autor angegriffen zu werden und meine
junge Karriere zu gefährden. Aber wenn ich an meine Karriere denken würde,
hätte ich den falschen Beruf gewählt. Ich sehe es als meine Aufgabe als
Autor, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und Dinge anzusprechen,
über die andere lieber schweigen. Brav mit dem Strom zu schwimmen ist meine
Sache nicht. Wie gesagt: Wir leben in keiner Diktatur mehr, nur in einer Art
Pseudo-Diktatur der politischen Korrektheit mit all ihren Redeverboten und
Ausgrenzungsmechanismen. Aber keiner muss hierzulande mehr um Leib und Leben
fürchten, nur weil er seine Meinung sagt. Deshalb erwarte ich von mir und
allen anderen auch den Mut, das zu tun, wenn man es für moralisch geboten
und notwendig hält. Dass man sich damit auch einige Feinde macht, die zur
Not auch vor den schlimmsten Verleumdungen nicht zurückschrecken, das ist
vollkommen klar. Aber diese Menschen müssen mit ihrem eigenen Gewissen
fertig werden. Mich freut, dass mein Buch sehr rasch nicht nur von erklärten
Liberalen, sondern auch von Aktivisten für Frieden und Menschenrechte im
Nahen Osten wahrgenommen wurde und dass sie es auf ihren Websites
präsentieren.
MM:
Nun ist Herr Hohmann sowohl politisch "fertig" gemacht worden, er musste
sogar die eigene Partei verlassen, als auch persönlich schwer belastet
worden, obwohl er sich objektiv nichts Strafbares zuschulden kommen lassen
hat. Hingegen sind die belegten strafrechtlichen Vorwürfe gegen Herrn
Friedmann nicht gerade als Kavaliersdelikte zu bezeichnen. Dennoch ist der
eine "erledigt" und der andere wieder ein Medienstar. Was stimmt in unserer
Gesellschaft nicht?
Hoffmann:
Martin Hohmann hat inzwischen gegen mehrere
Medienorgane, darunter den WDR, Spiegel-Online und Bild.T-online, juristisch
durchsetzen können, dass diese die Behauptung unterlassen, er habe in seiner
Rede die Juden als Tätervolk bezeichnet. Genützt hat ihm das wenig, denn da
war die Hetzjagd gegen ihn längst am Ziel.
Leider lassen
viele Menschen in diesem Land ihr Handeln durch die Angst bestimmen, von
ihren Mitmenschen ausgegrenzt zu werden. Schon der bloße Verdacht von
Antisemitismus, und sei er noch so unberechtigt, hat wegen der Verbrechen in
der deutschen Geschichte eine vernichtende Kraft. Leider gleitet die
momentane Diskurslage fast schon ins Totalitäre und erinnert mich an den
McCarthyismus in den USA der fünfziger Jahre. Man braucht nur jemanden zu
verteidigen, dem zu Unrecht der Vorwurf gemacht wurde, dass er Juden hasse,
schon färbt dieser schreckliche Verdacht auch auf den Verteidiger ab. Und
man braucht nur von einem Juden abzurücken, selbst wenn es dafür einen noch
so guten Grund gäbe, schon ist man mit dem Ruch des Antisemitismus behaftet.
Hinter dem
Verhalten vieler Politiker und Journalisten verbirgt sich meiner
Einschätzung nach oft reiner Opportunismus, reine Machtpolitik, und im
Grunde ihres Herzens ist ihnen die jüdische Minderheit in Deutschland
vollkommen egal. Mit den wirklich Verfemten in Deutschland solidarisiert
sich im übrigen kaum einer, nur mit Minderheiten, bei denen das gerade
schick ist. Die Springer-Presse etwa blockiert jede auch nur etwas schärfere
Kritik an der israelischen Politik, aber wenn es gegen politisch machtlose
Flüchtlinge und Asylbewerber geht, gießt sie gerne Öl in die Flammen, dass
es nur so lodert. Oder denken Sie an die Bild-Titelschlagzeile vor einigen
Monaten, die sich in Empörung darüber überschlug, dass die Türken
angeblich über Schröders Kanzlerschaft entscheiden würden. Viele Politiker
sind auf demselben Trip: Man will als besserer Mensch dastehen, deshalb
bitte keine Kritik an Juden, aber seine Fremdenfeindlichkeit will man sich
auch nicht nehmen lassen.
Im übrigen ist
die ganze Situation eine Fundgrube für Taktierer und Denunzianten: Wer einem
Menschen politisch schaden möchte, den er vielleicht aus ganz anderen
Gründen nicht ausstehen kann oder dessen Meinung er unterdrücken möchte, der
wirft diesem Antisemitismus vor, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet.
Judith Butler sagte dazu: Wenn wir aus Angst davor, als antisemitisch
etikettiert zu werden, unsere Kritik begraben, überlassen wir denen die
Macht, die den freien Ausdruck politischer Überzeugungen beschneiden wollen.
Und das geht nicht. Man muss gegen beides vorgehen: gegen Antisemitismus und
gegen falsche Unterstellungen.
MM:
Aber manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass bestimmte Personen etwas
sagen dürfen, was anderen verboten ist. Während einige auch bei dem
geringsten Verdacht, man würde heutige Israelis mit Nazis vergleichen,
Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen mussten, kann z.B. eine
Dolores M. Bauer ein ganzes Buch veröffentlichen
mit dem Titel: "Wenn aus Opfern Täter werden." Warum gibt es
derartige extreme Ungleichbehandlungen?
Hoffmann:
Das geht ja sogar noch viel weiter. Jamal Karsli hatte seine umstrittenen
Äußerungen zur israelischen Politik ursprünglich als Mitglied der Grünen
gemacht, was damals niemanden groß interessierte. Sobald er zur FDP
überwechselte, wurden sie zum Skandal gemacht. Staatsterrorismus hatte
auch unser ehemaliger grüner Umweltminister Jürgen Trittin Israel bereits
vorgeworfen, aber als Möllemann dasselbe tat, überschlugen sich die Grünen
vor Empörung. Und da spielt eben hinein, dass der Antisemitsmusvorwurf
insbesondere von Teilen der Linken inzwischen häufig als politische Waffe
gegen Menschen benutzt wird, die bei den Anklägern aus ganz anderen
Gründen ohnehin schon unbeliebt sind mit dem Versuch, ihren politischen
Einfluss auf diese Weise auszuschalten.
Was man bei
der Ursachenforschung bei unbegründeten Antisemitismusvorwürfen auch nicht
vergessen darf ist, dass manchmal der Zeitpunkt eine entscheidende Rolle
spielt. Das gilt insbesondere, wenn diese Unterstellung als
Ablenkungsmanöver dienen soll. Sie kocht ja vor allem dann hoch, wenn das
israelische Militär gerade besonders brutal vorgeht. Zuletzt war das in der
Möllemann-Debatte so: Es brauchten nur besonders heftige Beschuldigungen in
den Raum geschleudert werden, schon diskutierte man nicht mehr über Folter
und Liquidierungen in Israel, sondern darüber, ob Möllemann ein Judenhasser
wäre oder nicht. Und dass die Affäre Hohmann ausgerechnet zu einem
Zeitpunkt hochgepusht wurde, als die rot-grüne Bundesregierung lieber nicht
so intensiv über das damals von ihr begonnene Reformchaos sprechen wollte,
hat ja sogar die Berliner taz bemerkt.
Und
schließlich scheint es oft nur die Frage, ob sich eine einflussreiche Person
oder Instanz plötzlich über irgendwelche Bemerkungen aufregt. Ich behandele
in meinem Buch Warum Hohmann geht und Friedman bleibt ja eine ganze Reihe
von Äußerungen und Testen, bei denen zahlreiche Leser und Zuhörer nicht das
Geringste zu beanstanden fanden. Die Hohmann-Rede gehört übrigens dazu, aber
es gibt noch bizarrere Fälle. Und plötzlich sagt jemand mit großer Empörung
in der Stimme: Das ist antisemitisch! Auf einmal finden es viele andere
Leute auch antisemitisch, weil sie sich denken: Hoppla, wenn das jetzt
wirklich antisemitisch ist, und ich hab nichts gesagt in welchen Verdacht
bringe ich mich denn da? Im Zweifel also lieber hurtig distanzieren, bevor
die einen auch noch mit Dreck bewerfen. Das erinnert in der Tat an den
Ungeist von McCarthy.
MM:
Manche ihrer Arbeiten würde man aus muslimischer Sicht als "schamlos"
ansehen. Gibt es für Sie ein akzeptables Schamgefühl oder wollen Sie alle
Tabus brechen?
Hoffmann:
Mein Schamgefühl wäre berührt, wenn ich etwas täte, was meinem Gewissen
entgegenläuft oder das ich als unehrenhaft empfinde. Ich respektiere
natürlich auch das sexuelle Schamgefühl anderer Menschen, ihre
selbstgezogenen Grenzen, und würde diese nicht übertreten. Jemand, der aber
von sich aus meine erotischen Erzählungen liest, kann sich nicht hinterher
beklagen, dass dabei sein Schamgefühl verletzt worden sei. Im übrigen geht
es in keinem meiner Texte um Tabubrüche nur um des Tabubruchs willen. Das
wäre etwas für pubertierende Jugendliche. In aller Regel sind die erotischen
Stellen in meinen Geschichten nur ein Zuckerüberzug für die Pille darunter
das können zwischen Gesellschaftskritik und philosophischen oder
spirituellen Gedankengängen die verschiedensten Dinge sein. Meine Storys
sind oft sehr doppelbödig. Nehmen Sie etwa meine Erzählung Passion, die in
meinem Kurzgeschichtenband Wachs in deiner Hand erschienen ist. Auf der
Oberfläche liest sie sich als die Beschreibung einer Orgie, aber auf einer
tieferen Ebene als eine Allegorie auf die Leiden Christi. Diese
Doppeldeutigkeit wird schon im Titel deutlich: Passion steht einmal für
das englische Wort für Leidenschaft und zugleich für die Passionsgeschichte
in der Bibel. Manche Psychoanalytiker glauben, dass hinter vielen religiösen
Texten unterdrücktes sexuelles Begehren steht. Ich glaube, dass man hinter
vielen erotischen Texten eine verdrängte Sehnsucht nach religiösen
Erfahrungen finden kann.
Gerade in den
letzten Tagen habe ich übrigens einen Roman fertig gestellt, in dem ich mich
mit der Zwangsprostitution in Deutschland auseinandersetze. Auch das halte
ich für ein wichtiges Thema. Viele Menschen wissen gar nicht, was alles
direkt unter ihrer Nase vorgeht.
MM:
Da wären wir wieder bei ihrem aktuellen Buch. Friedmann hatte wohl mit
Zwangsprostituierten zu tun. Dennoch war er innerhalb kürzester Zeit wieder
ein Medienstar. Wie funktionieren die Mechanismen der Manipulation, dass so
etwas geschehen kann?
Hoffmann:
Klüngelei? Man kennt sich in Journalistenkreisen und hilft sich gegenseitig
in den Sattel? Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus? Oder ist es
schlicht Opportunismus die Hoffnung, dass Friedman wegen seiner hohen
Bekanntheit wieder für Quote sorgen wird? Ich glaube nicht, dass wir es hier
mit regelrechter Manipulation zu tun haben. Wenn dem so wäre, funktioniert
sie nicht. Einige versuchen, Friedman wieder zu etablieren, als ob nichts
gewesen wäre, das ist richtig. Es gab entsprechende Artikel in dem jüdischen
Online-Magazin hagalil und in der Zeit, in der man versucht hat, schon
die Ermittlungen gegen Friedman anrüchig und antisemitisch erscheinen zu
lassen. Man rege sich fürchterlich über das Privatleben von Michel Friedman
auf, es werde in seinem Bett gewühlt, und in einer ekelhaften
Schmutzkampagne wolle man dem Friedman endlich am Zeug flicken. Aber bei
den allermeisten Bürgern verfängt diese Propaganda nicht. Am 9. November
dieses Jahres etwa berichtete die Berliner tageszeitung über die Empörung,
die Friedman auslöste, als er als Redner bei einer Gedenkfeier zur
Pogromnacht von 1938 auftreten wollte. Diese Empörung wurde am lautstärksten
nicht von Antisemiten geäußert, auch nicht von Frauenrechtsgruppen wie Terre
des Femmes, sondern von prominenten deutschen Juden wie Evelyn
Hecht-Galinski und Julius Schoeps. Ein Mann, der Zwangsprostituierte aus der
Ukraine für seine Sexorgien buche, sei kaum die passende Person, um die
Opfer des Holocaust zu vertreten. Dass Friedman sich bei den von ihm
benutzten Frauen nie entschuldigt habe, wurde ihm in den letzten Monaten
immer wieder und wieder vorgehalten. Ihn mit seinem Verhalten wieder
unbekümmert zum Medienstar machen zu wollen war ein Versuch. Schlimm
genug. Aber im Moment sieht es so aus, als ob dieser Versuch scheitert.
MM:
Ihre Magisterarbeit behandelte den Minderheitenschutz. Können Sie fast ein
Jahrzehnt danach verstehen, dass sich Muslime in diesem Land derzeit von den
meisten Medien ungerecht behandelt fühlen?
Hoffmann:
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Es gab hier leider immer schon
bestimmte Vorurteile. Mit der Islamfeindlichkeit einer Alice Schwarzer
beispielsweise habe ich mich in Sind Frauen bessere Menschen?
bereits kritisch beschäftigt. Das hat sich leider nur zum Schlechteren
entwickelt. Seit den furchtbaren Terroranschlägen in den letzten Jahren
haben viele Menschen einfach Angst, und wenn jemand Angst hat, verliert er
die Fähigkeit zu differenzieren. Er sieht dann nicht mehr einzelne Menschen,
sondern nur noch ein Kollektiv, das ihm insgesamt als fremd, also bedrohlich
erscheint. Ärgerlicherweise werden in so manchen Medien nicht nur
berechtigte Ängste aufgegriffen, sondern bestimmte Ängste überhaupt erst
geschaffen, übersteigert und potenziert. Schauen Sie, eine fundierte,
durchaus auch provokative Kritik am Islam finde ich genauso berechtigt wie
an der christlichen Religion oder anderen westlichen Weltanschauungen. Meine
eigenen Bücher zu anderen Themen sind auch provozierend und differenziert
zugleich. Und das kritische Buch Der Aufbruch von der lesbischen
Feministin Irshad Manji, in dem diese für einen in ihren Augen
aufgeklärteren Islam wirbt, habe ich beispielsweise mit Interesse gelesen.
Aber was mich manchmal fast schon erschreckt, das ist diese dumpfe Wucht von
Klischees, die in einigen Medien mit inzwischen schon recht dreister
Offenheit gegen den muslimischen Teil unserer Bevölkerung geführt wird. Da
wird eine der großen Weltreligionen grosso modo auf die Extremisten in ihr
reduziert wobei leider oft die Extremisten auch die lautesten sind, sie
also auch am ehesten von außen wahrgenommen werden. Im kollektiven
Unterbewussten verknüpfen viele Nicht-Muslime den Islam heute wohl vor allem
mit Rückständigkeit und Terror. Das Bild der Muslime, wie ich es in den
Medien sehe, und die Musliminnen und Muslime, die ich persönlich kenne,
haben wenig miteinander zu tun. Und da fällt es schon auf, dass viele
Journalisten zwanghaft auch dort nach Antisemitismus suchen, wo gar keiner
ist, und zur Not wegen einer dämlichen Rede über Monate hinweg eine Kampagne
fahren, dass sie aber das schwierige Thema des Antiislamismus oft übergehen.
Vor einem Jahr
etwa ist hier das Buch Der neue Antisemitismus der jüdischen,
US-amerikanischen Radikalfeministin Phyllis Chesler erschienen, in dem diese
Araber und Muslime kollektiv als barbarisch und primitiv abwertet. Diese
Menschen hätten nichts anderes vor, als die wertvollen Juwelen aus unseren
Gotteshäusern und Museen zu stehlen, unsere schönen Kirchen und Synagogen
abzubrennen oder gleich ihre Moscheen drüberzustülpen. Außerdem würden sie
die Christen und Juden versklaven und umbringen wollen. Das alles sind fast
wörtliche Zitate. Hier wird also eine vorgebliche Zurückweisung von
Antisemitismus für eine extreme Hetze gegen Muslime ausgenutzt. Solche
Pamphlete sind eigentlich sehr entlarvend, genauso wie die Agitationen
anderer jüdischer Lobbyisten sehr entlarvend sind, aber das wird heutzutage
nur begrenzt thematisiert.
Eine
bedeutsame Frage ist, welche Macht Muslime selbst haben, die Vorurteile
gegen sie zu durchbrechen. Vielleicht hilft es etwas, wenn sie konstruktive
Kritik auch als Gesprächsangebot annehmen, statt sich davor zu verschließen
und wenn sie sich noch deutlicher von den Extremisten unter ihnen
distanzieren? Gut, häufig wird das ja auch getan: Ich war beispielsweise
wenige Tage nach den Anschlägen von London zu Gast in der Wiesbadener
Darul-Taqwa-Moschee, und das Erste, was der Imam in unserem Gespräch tat,
war klarzumachen, dass solche Verbrechen nicht im Sinne des Koran seien.
Aber hier muss wohl von beiden Seiten noch eine Menge getan werden, bevor
die Verständigung wirklich funktioniert.
MM:
Sind wirklich die "Extremisten" am "lautesten" oder ihre Sprachrohre, also
die Mainstream-Journalisten? Denn schließlich kennt man eine ganze Reihe von
"Anführern" jener Terroristen in der westlichen Welt viel besser als in der
muslimischen, wo sie nichts zu vermelden haben! Oder anders gefragt: Sind
vielen Journalisten "Extremisten" und "Hassprediger" nicht lieber als
moderate Stimmen?
Hoffmann:
Warum kennt man denn in der westlichen Welt die Anführer jener Terroristen
so besonders gut? Weil sie hier Anschläge begehen, über die Journalisten
berichten müssen. Die können sie ja nicht einfach übergehen. Dass
Terroristen die Medien und ihre Bildermacht bewusst benutzen und in ihre
Anschläge mit einkalkulieren, wurde am Beispiel des World Trade Centers ja
bereits bis zum Exzess durchanalysiert. Und ob vielen Journalisten die
Extremisten lieber sind als die moderaten Stimmen? Zugegeben, mit jedem
Hassprediger habe ich ein Thema, auf das ich als Journalist über lange
Zeit hinweg zurückgreifen kann und Konflikte oder mutmaßliche Bedrohungen
steigern die Auflage, während Berichte über moderate Stimmen nicht so
aufregend sind. Insofern könnten Sie mit Ihrer Vermutung Recht haben. Ich
glaube aber, dass das ein sich selbst erschaffendes Dilemma ist, das es bei
jedem anderen Thema auch gibt. Also eher eine Gedankenlosigkeit als eine
böse Absicht in dem Sinne, dass Extremisten als Vorwand genommen werden, um
einem Feindbild Islam zu huldigen. Medien lieben Extreme.
MM:
Was empfehlen Sie deutschen Muslimen und damit Bürgern dieses Landes, um aus
der aktuellen Situation des Generalverdachtes herauskommen zu können?
Hoffmann:
Das halte ich für eine außerordentlich schwierige Frage. Sie zum Beispiel
sind Journalist und im Gegensatz zu mir Experte für den Islam und die
Medienberichterstattung darüber und haben darauf offenbar noch keine Antwort
gefunden. Wie könnte ich dazu eine passende Lösung aus dem Ärmel schütteln?
Ich empfände es auch etwas anmaßend, wenn ich deutschen Muslimen hier
Empfehlungen geben würde. Vielleicht machen Sie ja bereits alles richtig,
und es braucht nur seine Zeit, bis es in den Köpfen der Menschen ankommt?
Vielleicht wäre Ihre Arbeit aber auch einfacher, wenn es mehr Muslime in
wichtigen Positionen unserer Medien gäbe? Mir fallen aus dem Stand nur
einige wenige Journalisten ein, von denen ich glaube, dass sie Muslime sind,
aber keiner von ihnen ist einem wirklich breiten Publikum bekannt (und wenn
doch, dann nicht explizit als Muslim). Dieses Ungleichgewicht würde dann
natürlich auch zu einer einseitigen Berichterstattung führen. Ganz
allmählich beginnt sich das wohl gerade zu ändern, auch mit
Internetprojekten wie diesem hier, und immer mehr Muslime werden von reinen
Objekten der Berichterstattung auch zu Akteuren.
Nicht zuletzt
scheint mir ein zentrales Problem zu sein, dass sich viele Nicht-Muslime für
den Alltag von Muslimen nicht besonders interessieren, sondern sie nur dann
wahrnehmen, wenn sie im Zusammenhang mit brisanten spannenden,
bedrohlichen Konflikten stehen. Dieses Dilemma eint Sie allerdings mit
sehr vielen Minderheiten, einschließlich der Juden, der Homosexuellen und so
weiter. Ich habe keine Ahnung, wie man das eigentlich notwendige Interesse
im nötigen Ausmaß schaffen kann. Bislang gelingt mir das ja nur mit Mühe bei
meinen eigenen politischen Anliegen.
Mal eine
Bemerkung am Rande: Die Amis haben manchmal eine Methode der subtilen
Integration von Minderheiten in der öffentlichen Wahrnehmung, die ich ganz
ansprechend finde. Und zwar landen Muslime und Juden bei ihnen oft als
Haupt- oder Nebenfiguren in Comic- oder TV-Serien, die über einen gewissen
Kultcharakter bei einem großen Publikum verfügen. Beispielsweise hatten wir
in den letzten Jahren ein afghanisches Mädchen als Mitglied der X-Men, den
Iraki Sayid Jarrah als einen der Verschollenen von Lost, einen jüdischen
Anwalt in Picket Fences, einen jüdischen Lehrer in Boston Public und die
jüdische Familie Cohen in O.C.. Da kann man jetzt drüber lächeln und das
als trivial abtun, aber hierzulande finde ich sowas nur selten und wenn,
dann verkrampft-pädagogisch wie in der Lindenstraße. Ich glaube, dass
solche vermeintlich trivialen, fiktiven Texte das Bewusstsein der Menschen
mehr prägen als noch so viel gutgemeinte Aufklärung. Allerdings ist es hier
der Mainstream, der die Minderheiten integriert; insofern ist Ihnen dieser
Teil meiner Antwort wohl keine große Hilfe.
Insgesamt
scheinen mir all die in diesem Gespräch angeschnittenen Fragen auf ein und
dasselbe Grunddilemma zurückzuführen zu sein: das, was der ARD-Redakteur
Hartmann von der Tann in der Dokumentation Die Meute Macht und Ohnmacht
der Medien als das Herdenproblem des Journalismus bezeichnete. Ein
Leitmedium besetzt ein bestimmtes Thema, gibt die Stoßrichtung vor, und
etliche andere Journalisten springen auf in einem Wettbewerb, daraus eine
möglichst große Story zu machen. Es entsteht ein regelrechter peer
pressure, ein Gruppendruck, bei dem kaum jemand auszuscheren wagt. Fälle
wie die von Jürgen Möllemann und Martin Hohmann wurden innerhalb der Medien
bezeichnenderweise fast mit einer Einheitsmeinung wahrgenommen, im Rest der
Bevölkerung jedoch sehr unterschiedlich. Während Martin Hohmann etwa in der
Bild-Zeitung über Wochen hinweg als Hetzer gebrandmarkt wude und sich
andere Zeitungen in Beschimpfungen wie Rassist und Idiot
hineinsteigerten, befanden in Umfragen 42 Prozent der Bevölkerung, Hohmann
habe nichts Schlimmes getan. Und Möllemann hatte sogar trotz durchgehender
Medienverdammung satte Mehrheiten in den Umfragen hinter sich. Wenn die
Parteispitzen von FDP und CDU souverän geblieben und den Medienvertretern
gesagt hätten: Gut, dann macht mit euren Unterstellungen und euren
Kampagnen eben weiter, bis Ihre Leser dem endgültig überdrüssig geworden
sind, wir stehen zu unseren Leuten das hätte vermutlich sogar geklappt.
Leider war der Umgangsstil vieler Journalisten unter jedem Niveau. Schreibe
so, dass du dem, über den du schreibst, in die Augen schauen kannst nennt
der FAZ-Korrespondent Karl Feldmeyer seine Maxime. In den
Antisemitismus-Kampagnen der letzten Jahre ist dieses Prinzip oft schwer
verletzt worden.
Dieses
Herdenproblem erklärt aber auch, warum bestimmte Themen (etwa der Islam)
häufig nur sehr einheitlich dargestellt werden und es zu bestimmten anderen
Themen ein Meinungstabu gibt. Nehmen wir mal zur Anschauung eines meiner
Spezialgebiete: die überraschend hohe Rate von häuslicher Gewalt durch
Frauen gegen Männer. Als ich im Jahr 2000 darüber in meinem Buch Sind
Frauen bessere Menschen? berichtet habe, wiesen 80 Verlage einer nach dem
anderen das Manuskript zurück, und ich konnte nur in einer kleinen,
unabhängigen Frankfurter Zeitschrift einen Artikel darüber veröffentlichen.
Weil wir mit unserer Aufklärungsarbeit nicht locker gelassen haben, gingen
weitere Beiträge zu diesem Thema inzwischen nicht nur durch alle bekannten
Zeitungen von der Welt bis zur Frankfurter Rundschau und durch mehrere
Fernsehmagazine (wie etwa Kontraste) sondern auch in trivialere
Medienformate wie die Talkshow Jürgen Fliege oder Zeitschriften wie Max
oder Young woman´s magazine. Inzwischen hat auch das
Bundesfamilienministerium dieses Problem erkannt und möchte sich darum
kümmern. Ich will damit nur illustrieren, dass trotz des Herdenproblems
die Tabuisierung eines Themas auch kippen kann und es sich dann fast schon
zu einem Trendthema entwickelt. Das kann auch im Bereich der Nahostdebatte
funktionieren. Wobei es hier wichtig ist, rechtzeitig einen verantwortlichen
Umgang damit vorzubereiten. Shraga Elam etwa befürchtet, dass wenn plötzlich
der Deckel nicht mehr auf dem Kessel der Meinungstabus über die israelischen
Menschenrechtsverletzungen gehalten werden kann, sich auch ganz allgemeine
aggressive Ressentiments über Juden entladen könnten. Vernünftiger wäre es,
die Debatte vorher weniger neurotisch geraten zu lassen.
In ähnlicher
Weise kann durch beharrliche und geduldige Medienarbeit vermutlich auch der
Islam sein momentanes Negativ-Image verlieren. Dass es zuvor zu einer ganzen
Reihe von Frustrationserlebnissen kommen wird, ist bitter, aber wohl nicht
zu vermeiden. Denken Sie einmal an führende und prägende Persönlichkeiten
unserer Gesellschaft, beispielsweise Joschka Fischer oder Spiegel-Chefredakteur
Stefan Aust. Die sind in den siebziger Jahren als Radikale beschimpft
worden, Fischer wurde meines Wissens sogar vom Verfassungsschutz beobachtet,
und man hat versucht, sie politisch auszugrenzen. Nun gelangt natürlich
nicht jeder Vertreter einer Minderheitenmeinung später in die Position,
gesellschaftliche Themen zu besetzen, aber die Chance dazu wächst, je
beharrlicher und zielstrebiger er in seinem Vorgehen ist.
MM:
Gut dann fragen wir Sie abschließend nach dem Ehrgefühl bzw. Berufsethos
deutscher Journalisten. Was kann von wem getan werden, damit der Herdentrieb
überwunden werden kann, um einen Journalismus zu fördern, dessen Nutzen für
die Gesellschaft größer ist, als ihr Schaden.
Hoffmann:
Ich hatte schon nach der Berichterstattung über Jürgen Möllemann einen
Artikel mit dem Titel Wir brauchen eine neue Medienethik mit ganz
konkreten Aufforderungen zu einer fairen Berichterstattung veröffentlicht
und ihn auch den Redaktionen verschiedener großer Zeitungen zugeschickt.
Genützt hat das wenig, im Fall Martin Hohmann ist genau dasselbe noch einmal
passiert. Aus diesem Zeitschriftenbeitrag ist ein ausführliches Kapitel für
mein Hohmann-Friedman-Buch geworden. Im Rahmen dieses Interviews kann ich
meine Forderungen leider nur sehr gerafft wiedergeben.
In einem
ersten Schritt sollten sich Journalisten darüber klar werden, dass es dieses
Herdenproblem überhaupt gibt und ihm bewusst entgegensteuern. Pädagogen
machen dasselbe beim so genannten Pygmalion-Effekt (der Neigung, einen
Schüler nicht nach seiner tatsächlichen Leistung sondern den Vorurteilen
seines Lehrers zu benoten). Ich muss mir also als Journalist überhaupt erst
mal bewusst machen, dass meine Meinung nicht unabhängig entsteht, sondern
stark durch meine Vorurteile gebildet wird, meine Wahrnehmungsfilter und
durch meine peer group, also die Ansichten meiner Kollegen. Heute ist es
oft umgekehrt: Einer schreibt vom anderen ab und denkt sich: Wenn alle
dasselbe sagen, wird es wohl stimmen. Oft sind alle aber nur Mitglieder
des journalistischen Umfelds und nicht die Allgemeinheit. Wenn ich als
Journalist in einer verantwortungsvollen Position bin, beispielsweise
Chefredakteur, ist es meine Aufgabe, zu abweichenden Meinungen zu ermuntern,
statt alle meine Leute auf einer Linie marschieren zu lassen.
Des
weiteren sollte ich, wenn ich als Journalist über einen Konflikt zweier
Parteien berichte, beide Seiten fair und halbwegs zu gleichen Teilen zu Wort
kommen lassen. Während der Möllemann-Affäre wurden ganze Talkshows
(ARD-Presseclub, 3sat-neunzehn-zehn) ausschließlich mit
Möllemann-Gegnern besetzt, was statt zu kontroversen Diskussionen zu
absurden Schauprozessen führte. Erich Böhme funktionierte seine sonst
grundsätzlich mit mehreren Gästen besetzte Talkshow damals dergestalt um,
dass darin ausschließlich Michel Friedman zu dieser Debatte auftrat.
Interviews mit den beiden Kontrahenten unterschieden sich grundsätzlich
darin, dass man Friedman unterwürfig ein Mikrofon vorhielt (löbliche
Ausnahme: Sandra Maischberger) und Möllemann mit allen möglichen
rhetorischen Tricks zu überführen versuchte. Auch Spiegel und Friedman
hatten Äußerungen getan, die durchaus kritikwürdig waren; diese Kritik
erfolgte allerdings nur sehr selten. Gottseidank geschah das alles in so
selbstgerechter Plumpheit, dass es etlichen Zuschauern auffiel, wovon viele
Diskussionsbeiträge im nicht dergestalt manipulierten Internet zeugten. Aber
wenige Jahre später geschah im Fall Hohmann dasselbe: In Talkshows kamen
Martin Hohmann und seine Unterstützer praktisch nie zu Wort, Zeitungen
hielten kritische Leserbriefe über Wochen zurück und wer immer für die
Meinungsfreiheit eintrat oder seinen Eindruck schilderte, Hohmann sei
lediglich missverstanden worden, wurde als Rechtsradikaler denunziert.
Man muss
als Journalist aufpassen, dass man sich nicht in blindem Eifer zum Verfolger
von Menschen macht, so dass daraus eine Hetzjagd entsteht. Insbesondere muss
ich die möglichen Folgen meiner Handlungen für mein Opfer reflektieren.
Bei der Berichterstattung über Möllemann und Hohmann beispielsweise
steigerten sich Journalisten in persönliche Beleidigungen, Dämonisierungen
und rufschädigende Verleumdungen hinein. Unter Hunderten von mir gesichteten
Artikeln im Fall Hohmann wies ein einziger Beitrag (in den Bremer
Nachrichten) darauf hin, daß die Auseinandersetzung auch eine menschliche
Komponente habe: Da Hohmann erst seit fünf Jahren im Parlament sitzt, hätte
der Familienvater noch keinen Anspruch auf die übliche Altersversorgung.
Die Warnung eines Fraktionsmitglieds - Er wäre arbeitslos und würde ins
Bodenlose fallen wird ebenso zitiert wie die Sorge des
baden-württembergischen CDU-Landesvorsitzenden Brunnhuber: Man darf
jemanden nicht so lange treiben, bis er am Ende von einer Brücke springt.
Praktisch alle anderen Journalisten waren dermaßen im Jagdfieber, dass ihnen
die Gefahr, dass sich Hohmann etwas antun würde wie zuvor Möllemann oder
dass ein aufgehetzter Leser zur Gewalt greifen könnte, völlig gleichgültig
schien. Der Zürcher Therapeut Mario Gmür vergleicht Medienopfer übrigens mit
Traumaopfern nur dass sie nicht körperliche Todesangst, sondern soziale
Todesangst litten. Während bei körperlichen Bedrohungen das äußere Trauma
einmal beendet sei, höre die Angst bei Opfern der Medien niemals auf.
Generell sollte weit eher zur Sache diskutiert werden als mit persönlichen
Angriffen.
Für
geradezu skandalös halte ich, dass Nachricht und Kommentar in diesen
Debatten längst nicht mehr getrennt werden, sondern hochsubjektive Wertungen
wie selbstverständlich in Nachrichten einfließen. Da heißt es dann etwa bei
ntv, Möllemann habe sich für seine antisemitischen Äußerungen
entschuldigt. Nach Möllemanns Tod wurde beispielsweise bei Sabine
Christiansen sachlich richtig von dessen Anti-Sharon-und-anti-Friedman-Flugblatt
geschrieben. Vorher war es allerorts ein antisemitischer Flyer gewesen.
Offenbar war die journalistische Logik dahinter: Wer zwei Juden kritisiert,
kritisiert sie alle.
Ähnlich
gründlich habe ich mich mit der Medienberichterstattung über den Islam noch
nicht beschäftigt. Was mir allerdings auch bei oberflächlicher Draufsicht
auffällt und hochproblematisch erscheint, ist die aktuelle Tendenz, Muslime
zu entindividualisieren und sie häufig nur als Kollektiv, als gesichtslose
Masse zu zeigen. Damit wirken sie besonders bedrängend, fremd und
bedrohlich. Ich sehe auf Titelbildfotos auch großer Zeitschriften Scharen
verschleierter Frauen oder im Gebet vornübergebeugter Moslems. Das Motto
dahinter lautet offenbar: Je mehr, desto besser, und je weniger man den
einzelnen Menschen erkennt, desto besser. Dass Muslime sich voneinander
stark unterscheiden und beispielsweise völlig unterschiedliche Auffassungen
haben können, wird dabei übergangen; sie erscheinen als ein Block mit fast
einheitlichem Bewusstsein. Wir kennen diese Methode aus antisemitischen
Zusammenhängen (Weltjudentum) ebenso wie aus radikalfeministischen (das
Patriarchat, die frauenunterdrückenden Männer); in den frühen neunziger
Jahren wurden vor allem Flüchtlinge als gesichtslose, bedrohliche Masse
dargestellt (Asylantenspringflut), was dann bei einigen verängstigten und
gewaltbereiten Dummköpfen ja auch zu Mord und Brandstiftung als Gegenwehr
führte. Es ist vermutlich die Ähnlichkeit zwischen den Bildern damals und
heute, die mich manchmal schaudern lässt.
MM:
Herr Hoffmann, wir danken Ihnen für das
Interview.
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