Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Abd al Karim Bornholdt
 

Muslim-Markt interviewt 
Walter-Abd al Karim Bornholdt, Stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Magdeburg e.V.
13.3.2006

Walter-Abd al Karim Bornholdt ist 1949 in Fulda (Hessen) geboren. Nach einer katholischen Erziehung trat er 1968 aus der Kirche aus. Im Anschluss an eine Lehre als Bauzeichner bis 1969 folgt eine Laufbahn als Marinetaucher und Schiffsführer und später Lokführer bei der Deutschen Reichsbahn (DDR) bis 1994. In den Jahren nach der Wiedervereinigung wandelte er seine militärische Lizenz in eine zivile Lizenz als Schiffsführer (Kapitän) um und ging im Juli 1994 nach Ägypten als Lehrer auf eine private Seefahrtsschule in Alexandria.

1999 nahm er den Islam an. Es folgen eine Umschulung zum Physiotherapeuten und Fernstudium der Arabischen Sprache und nach seinem Eintritt in die neu gegründete Islamische Gemeinde Magdeburg e.V. (10.1998) Aufnahme in den Vorstand und Zuständigkeit für Öffentlichkeitsarbeit. Im Mai 2003 wird er für 2 Jahre zum 1. Vors. gewählt. anschließend als als Stellvertreter wieder gewählt. Bornholdt hat aus einer frühere Ehe eine Sohn und Lebt in Magdeburg.

MM: Sehr geehrter Walter-Abd al Karim Bornholdt, auch wenn sie die Geschichte schon einige hundert Mal erzählt haben dürften, interessiert sie auch unsere Leser. Wie fanden Sie zum Islam?

Bornholdt: Das hört sich tatsächlich kompliziert an und kann auch so gesehen werden. Am Anfang stand der Kirchenaustritt (1968) und bei dieser Gelegenheit warf ich auch alles gleich mit über Bord, was da Religion heißt. Gut, das war der Zeitgeist und ich kam mir ungeheuer progressiv vor. In den folgenden 30 Jahren gab es mehr und mehr Gelegenheiten, zur Erkenntnis zu kommen und der „Day of Change“ kam erst während meines Aufenthaltes in Ägypten. Dinge die ich sah und erst später deutete – ich meine persönliches Erleben auf dem Sinai und im „Heiligen Land“ – Belehrungen eines Freundes der mir nicht nur einen Weg zur Mentalität meiner Schüler zeigte, sondern mir auch „nebenbei“ den Islam nahe brachte. Dinge gegen die ich mich wehrte, da sie meinem Weltbild entgegenstanden. Die aber ständig bestätigten, was ich als Kind lernte und nie vergessen hatte. Im Februar 1997 war es das erste Mal, als ich auf eine Frage eines Österreichers: Glaubst Du denn nicht wenigstens an Gott? noch mit tiefster Überzeugung nein sagte und im selben Moment wusste, dass das nicht mehr die Wahrheit war. Erst das Erleben der Tage nach der Mitteilung dass ich schwer erkrankt war, zeigte mir überdeutlich wo mein Weg ist. Ich ging völlig ruhig in die Klinik und erfuhr schon am ersten Tag, dass es rechtzeitig war und es wahrscheinlich kaum Komplikationen geben würde. Diese Nachricht und die Ereignisse an dem Tag die mich zur Vorsorgeuntersuchung veranlassten, konnte kein blinder Zufall sein. Für mich stand fest, dass ich hinterher alles machen würde, um dieser Erkenntnis Taten folgen zu lassen.

MM: Warum der Name Abd al Karim (Diener des Edlen)?

Bornholdt: Ich konnte mich mit einem Buch - nach dem heiligen Qur’an - befassen, welches die 99 Namen Allahs erklärte und da las ich unter dem Namen Karim, das eine der Eigenschaften sei, anderen Mensch mit Wohlwollen und Verständnis entgegenzutreten. Aber es stand da auch das Wort Geduld und das war und ist bis heute meine Schwäche. Das zu ändern war und ist nötig und der Name soll mich ständig daran erinnern.

MM: Ist das Dasein als deutscher Muslim in Ost-Deutschland nicht noch ungewöhnlicher, als in Westdeutschland?

Bornholdt: Mit Sicherheit, denn der Islam war im Osten wenig präsent, obwohl an unseren Universitäten viele Männer aus arabischen Ländern studierten und auch in kleineren Gruppen an Militärschulen ausgebildet wurde. Aber uns war deren Religion zu fremd und wir interessierten uns zu wenig dafür. Auch muss ich heute noch sagen, dass die Mehrheit mit Sicherheit sehr schlechte Vorbilder gewesen wären. Das änderte sich nach der Wende. Nach meiner Neuetablierung in der Heimat bekamen natürlich ehemalige Kollegen, Freunde und Verwandte mit, dass ich so ein Islamist, Mohammedaner usw. geworden sei und das wurde doch hin und wieder anstrengend. Dumme Fragen sind an der Tagesordnung aber ich darf voller Stolz sagen, dass meine Bordkameraden nie gehässig oder herablassend wurden. Und das sind durchweg heute noch Menschen mit marxistisch/leninistischem Weltbild. Sie diskutierten bei Treffen mit mir bis in die Nacht hinein und wollten nur verstehen. Und das waren fruchtbare Gespräche. Mit meinen westdeutschen Bekannten und Verwandten war es völlig anders. Es gibt kaum noch Kontakte. Man wundert sich im Osten mehr. Unverstand ist selten zu spüren. Die Akzeptanz ist nach meiner Erfahrung überraschend größer. Schwerer ist die Diskussion mit christlichen Bürgern, aber das ist auch reizvoller. Denn ich kenne ja beide Religionen.

MM: Bitte geben Sie uns doch einige Beispiele eines Ostdeutschen Muslim-Lebens.

Bornholdt: Das ist nur mit einer ironischen Antwort möglich. Ständig müssen sie einigen Zuhörern von z.B. Seniorenakademien oder anderen Erwachsenbildungseinrichtungen erklären, dass sie wirklich Deutscher sind. Auf Fragen wie: "Sie leben nun schon so lange in Deutschland, warum gewöhnen sie sich nicht an Alkohol und Schweinefleisch?", können sie nur ironisch antworten. Aber die Diskussionen in einer aus bekannten Gründen weitestgehend religionslosen Gesellschaft sind intensiver. Wie ich schon einmal sagte: Man möchte verstehen. Feindseligkeiten sind selten und aus der aktuellen Tagespolitik zu erklären. Anfangs war es schwierig, Lebensmittelläden mit Fleisch- und Wurstwaren, die aus Halal-Schlachtungen stammen, zu finden. Aber seit etwa zwei Jahren ist das in den größeren Städten zumindest besser geworden.

MM: Worin besteht das Gemeindeleben in der Islamische Gemeinde Magdeburg e.V.

Bornholdt: Wir versuchen zuallererst natürlich die religiösen Belange der Muslime sicherzustellen. So banale Dinge, wie Zahlung der Mietkosten für die Moschee und Auflagen der Behörden zu erfüllen oder ggf. abzuwehren. So „nebenbei“ konnten wir ein islamisches Gräberfeld im Magdeburger Westfriedhof vertraglich sichern. Die Zeiten des Ramadans werden durch nahezu tägliche gemeinsame Iftar-Essen gestaltet, die jedes Mal von einem anderen Bruder finanziert werden. Jugendarbeit ist kaum möglich, denn die Kinder wachsen erst heran. Aber wir gehen regelmäßig in Schulen, um dort in Verbindung mit der URANIA e.V. (einer uralten Bildungseinrichtung in Ostdeutschland) Schulklassen nicht nur mit überwiegend muslimischen Schülern, den Islam altersgemäß zu vermitteln. Lehrer des so genannten Ethik-Unterrichtes, haben es schon zur permanenten Einrichtung gemacht, einmal mit der gesamten Klasse in der Moschee vorbeizuschauen. Der Erfolg ist dann immer abhängig von der Altersklasse der Schüler. Eine gute Zusammenarbeit ist mit der örtlichen Presse und dem Mitteldeutschen Rundfunk (mdr) zu verzeichnen. Da gibt es aber oft Probleme mit Geschwistern, die absolut gegen TV-Aufnahmen sind.

MM: Nun ist man in Ostdeutschland jahrzehntelang "antiimperialistisch" erzogen worden. Ist davon denn nichts mehr übrig geblieben, oder gibt es zumindest auf der politischen Ebene gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen?

Bornholdt: Ich sitze hier und nebenan läuft der alte DEFA Film „Solange Leben in mir ist“. Andere Kleidung und andere Namen (stellt man es sich vor) und die „rote“ Wut steigt hoch. Im Film wird der 1. Weltkrieg den Bürgern schmackhaft gemacht. Und ich frage mich mit den meisten Ostdeutschen: Kommt der alte Ungeist wieder? Nein, denn er ist schon wieder da. Ich will mich nicht beklagen, denn es bedrückt mich nur bedingt. Z.B. wenn ich in Organisationen mitarbeite, die gegen den imperialistischen Krieg der USA (und bald auch Deutschlands) sind und demonstrieren, werde ich schon einmal von Brüdern des „Unglaubens“ bezichtigt, die lieber den Kopf einziehen und auf Teilnehmer verweisen, die „gottlos“ sind. Woher sie das wissen? Nein, der antiimperialistische Geist lebt, aber viele haben angesichts sozialer Probleme resigniert. Ich scheue nicht, offen zu bekennen: Ich wähle und handele antiimperialistisch, denn ich möchte einmal vor Gott treten und sagen können: Ich wollte etwas verhindern.

An einen Erfolg glaube ich nicht mehr. Da gibt es nur eine Hand die alles stoppen kann. Und wir wissen nicht, was Gottes Ziel und Planung ist. Ja es gibt Gemeinsamkeiten mit den Nichtmuslimen, ja und diese sind oft genug „Gottlose“, aber wir haben alle den gleichen Gegner, und wer mich respektiert und als Muslim ernst nimmt, ist mein Verbündeter. Was meinen Sie, wie die Artikel von MM zum Iran angenommen werden. Ich musste nur mal erklären, warum die Schi’itische Variante des Islams näher am Leben ist. Und warum mir der historische Streit mit den Sunniten vollkommen egal ist. Das war einmal und nun fragt keiner mehr.

MM: Der MM selbst beobachtet in letzter Zeit, insbesondere in den letzten Monaten, eine extreme Zunahme des Interesses am Islam, vor allem auch von so genannten "Linken", darunter auch viele EX-DDR-Bürger. Allerdings erscheint das Spirituelle im Islam oft als Hürde. Haben Sie ähnliche Erfahrungen in Ihrem Umfeld und merken die "Linken" nicht, dass sie durch die rein "materielle" Betrachtung der Dinge letztendlich auch Opfer des System sind, dass sie vorgeben abzulehnen?

Bornholdt: Zum 2. Teil der Frage möchte ich zuerst kommen. Das war auch mein Gedankenfehler rund 30 Jahre: Materialismus, falsch vermittelt und dann noch falsch verstanden. Ich habe es einem ägyptischen Muslim zu verdanken, der meinen Widerspruch reizte, so dass ich umdenken lernte. Das „Problem“ war nur, dass ich ständig feststellen musste, dass er Recht hatte. Ich konnte feststellen, dass Geschwister, die aus der katholischen Ecke kommen, die spirituelle Seite des Islams leichter erfassen. Ganz im Gegensatz zu den Protestanten. Ich erinnere an die nicht zufällig unterschiedlichen Positionen von Kardinal Lehmann und Herrn Huber. Ich sage es frei heraus, die „Linken“ aus der ehemaligen DDR vermissen vielleicht das Zusammengehörigkeitsgefühl der alten Zeit und sehen sich wieder auf der Seite der vom Raubtierkapitalismus bedrohten Völker. Wenn dann Verse im Qur'an dazukommen die dem System der marxistischen Geschichtsanalyse entsprechen und das man mit dem Begriff der viel geschmähten „Evolutionstheorie“ aus islamischer Sicht sehr offen umgeht und viele Dinge logisch erklären kann, dann ruft mich auch schon mal einer um 23 Uhr an und braucht dringend Antworten.

MM: Welche Defizite verzeichnen Sie in unseren eigenen Gemeinschaften hinsichtlich der Einladung der Menschen zu Gott, und wie können wir Ihrer Ansicht nach die Menschen im Osten Deutschlands besser erreichen?

Bornholdt: Es ist noch zuviel Misstrauen in den Köpfen der ausländischen Geschwister. Man igelt sich ein und möchte oft auch dem Bruder aus Deutschland ihre Traditionen aus der Heimat als einzig wahre Lehre verkaufen. Es interessiert dabei nicht, ob der Bruder oder die deutsche Schwester den Heiligen Qur'an richtig lesen kann und den Islam gründlicher kennen gelernt haben; unbelastet von Sitten und Bräuchen aus gleich welchem Herkunftsland. Ich will keinesfalls dem assimilistischen Euro-Islam das Wort reden. Aber es ist umgekehrt ebenso belastend. Vorwürfe, dass man nicht mit diesen oder jenen Gruppen zusammen arbeiten sollte, sind da wenig hilfreich. Und man sollte es tunlichst vermeiden, gerade den deutschen Geschwistern das Gefühl zu geben, dass sie nur billige Vermittler sind und die Schwestern eben nur „angeheiratet“. Da habe ich schon schlimme Sachen anhören müssen. Aber wenn ich alles persönlich nehmen wollte …

MM: Während im "Westen" zumindest von einem muslimisch-christlichen Dialog geredet wird (wenn auch nur unzureichend praktiziert), müsste doch im Osten eine Art Dialog mit "Linken" stattfinden. Ist das realistisch und praktikabel oder sind die Hindernisse zu groß?

Bornholdt: Auch hier findet der Dialog statt, ich erwähnte Unterschiede. Wenn aber die christlichen Kirchen Dinge zulassen, z.B. das Zeigen israelischer Flaggen durch die Jüdische Gemeinde, dann ist Schluss mit Toleranz. Mit den „Linken“ ist es unterschiedlich. Beide Zielgruppen sind säkular orientiert und wenn dann eine Parteibindung dahinter steht, wird es eng. Zweckbündnisse z.B. vor dem Irak-Krieg oder dem was uns jetzt droht sind auf alle Fälle Plattformen zur Aussprache. Aber da lässt man uns alleine. Es geht ja nur uns (Deutsche) etwas an. Bisher war es immer das Land des Anderen, welches zerstört wurde. Das deprimiert!

MM: Abschließende Frage, können Sie sich vorstellen, dass der Islam eines Tages in Deutschland heimisch wird?

Bornholdt: Wenn ich die Meldungen der letzten Monate zusammenfasse und Politikeräußerungen dazunehme: Leider Nein! Aber wie heißt es im Heiligen Qur'an sinngemäß:  Wenn sich ein Volk beginnt selbst zu helfen, dann wird Gott zur Hilfe kommen! Die Vogel-Strauß Mentalität wird es nicht möglich machen.

MM: Sehr geehrter Walter-Abd al Karim Bornholdt, wir danken für das Interview.

 

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