Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Irit Neidhardt
 

Muslim-Markt interviewt 
Irit Neidhardt, Gründerin mec film

15.11.2006

Irit Neidhardt (Jahrgang 1969) ist in Deutschland und Israel aufgewachsen. Sie reist regelmäßig nach Israel/Palästina sowie arabische Nachbarländer. Nach dem Studium der Islamwissenschaft (Arabisch), Ethnologie und Politikwissenschaft in Münster, wobei sie sich sehr mit dem Verhältnis Islam-Judentum befasst hat, war sie Mitbegründerin und bis 1999 Programmleiterin der Israelischen und Palästinensischen Filmtage Münster.

Sie arbeitet seit vielen Jahren als Kursleiterin und Referentin und war Ende der 90er Jahre Leiterin eines Erwachsenenbildungswerkes in Münster. 1999/2000 lebte sie in London, wo sie u.a. Lehraufträge an der School for Oriental and African Studies (SOAS) und am Morley College hatte. Irit Neidhardt kuratiert Filmprogramme für Kinos, Festivals und freie Träger und bietet Vorträge, Seminare und Workshops zum Themengebiet Nahost an.

2002 hat sie mec film gegründet und wurde 2004 für das Wachstumskonzept von mec film mit dem Unternehmerinnen-Brief NRW ausgezeichnet.

MM: Sehr geehrte Frau Neidhardt, wie kam es dazu, dass Sie u.a. in Israel aufgewachsen sind und was sind Ihre Erinnerungen an die Kindheit in Israel?

Neidhardt: Meine Eltern haben in Israel gearbeitet und so haben wir mit der Familie für einige Jahre dort gelebt. Meine Kindheitserinnerungen sind in erster Linie an die Schule und die Jugendgruppen, in denen ich aktiv war. Aber natürlich auch an die große gesellschaftliche Kluft zwischen Jüdinnen und Juden europäischer Herkunft und denen arabischer Herkunft, die Angst vor Palästinenserinnen und Palästinensern, die uns eingeredet wurde und vor allem Arabischen überhaupt. Der Beschuss mit Katjuschas aus dem Libanon (wir haben an der Grenze gelebt) und der folgende Krieg gegen den Libanon. All das hat mich geprägt, wichtig sind aber Gerüche, Geschmack, der Humor, alles was einen Ort im ganz banalen Alltag ausmacht.

MM: Wie kamen sie auf die Idee eine Art alternativen Film-Verleih zu gründen, und worin unterschiedet sich mec film vom üblichen Filmverleih?

Neidhardt: Das einzige etwas Alternative an mec film ist, dass sich der Verleih auf eine Region beschränkt, aber andere Verleihe haben natürlich auch regionale Schwerpunkte. Die Verleiharbeit war die logische Konsequenz aus meiner Tätigkeit als Kuratorin für Filmprogramme. Ich habe mir die Filme immer kommen lassen, oft aus den Westbank, was ein riesiger Umstand für die Regisseurinnen und Regisseure war. Einer hat mich dann gebeten, seine Filme einfach bei mir zu lagern und so entstand die Idee, einen professionellen Filmverleih aufzuziehen. Da mec film auf eine Region spezialisiert ist und ich von der Kinoauswertung der Filme allein nicht leben könnte, gibt es auch den Weltvertrieb, eine kleine DVD-Edition und die Rubrik der Veranstaltungen, diese Struktur unterscheidet sich von anderen Filmverleihen.

MM: Was bedeutet das Symbol in dem Firmenlogo, was aussieht wie eine Landkarte?

Neidhardt: Es ist eine Landkarte, die die Region des Nahen Ostens zeigt. Die Frage ist immer, was mit Ägypten ist, so langsam kommt es dazu.

MM: Durch Ihre Sprachkenntnisse und Kenntnisse der Region haben Sie einen besonderen Zugang zu der Region. Wie schätzen Sie die Situation zwischen Juden, Christen und Muslime im Heiligen Land ein und was spiegelt sich in den Filmen wieder, die Sie verleihen?

Neidhardt: Ich bin mir nicht sicher, wie groß die Rolle ist, die die Religion tatsächlich in dem Konflikt spielt. Auf jeden Fall wird sie von Machthabern aller Seiten für ihre politischen Zwecke genutzt. Und natürlich bietet sie den Menschen Halt und Hoffnung, oder eine Illusion von Hoffnung. Die Filme, die ich verleihe, befassen sich nicht in erster Linie mit dem Konflikt, es sind Kinofilme, die sich mit dem Leben von Menschen in welchen Alltagssituationen auch immer, befassen. Der Konflikt spiegelt sich aber immer in der Stimmung dieser Filme, der Rohheit und Verzweiflung und sehr oft in der Abwesenheit von Hoffnung. Manche Filme haben auch den Konflikt an sich zum Thema, die funktionieren anders, direkter.

MM: Dennoch haben Sie natürlich sowohl durch ihre Sprachkenntnisse als auch durch die Kenntnis von Judentum und Islam einen Einblick, dass die Unterschiede doch eigentlich sehr gering sind. Aus New York und London wird berichtet, dass praktizierende Muslime und Juden besser miteinander zureckt kommen, als mit den jeweiligen Mehrheitsgesellschaften. Warum erscheint in Israel diese Koexistenz so aussichtslos?

Neidhardt: Ich nehme an, weil es eigentlich nicht um Religion geht, sondern um ein einen nationalen Konflikt, um Besatzung, Enteignung und Verdrängung. Die Menschen begegnen sich als Besatzer und Besatzte, das ist ein großer Unterschied zu New York oder London.

MM: Sie haben auch einen Film über den Friedensaktivisten Uri Avnery und zudem zahlreiche Filme, die Israel anklagen. Mussten Sie sich dafür schon einmal den Vorwurf des Antisemitismus anhören?

Neidhardt: Nein, nie.

MM: Einer ihrer Filme heißt "Licht am Ende des Tunnels". Wenn wir sie gerade heute dazu befragen, können Sie dann noch solch ein Licht irgendwo erkennen?

Neidhardt: Die Protagonistinnen und Protagonisten in "Licht am Ende des Tunnels" haben alle Dunkelheit und nicht Licht gefunden. Die einzige Hoffnung, die ich zur Zeit habe ist, dass die meisten Besatzungen irgendwann zu Ende gehen.

MM: Sie sprachen von der Kluft zwischen Jüdinnen und Juden europäischer Herkunft und denen arabischer Herkunft. Worin machen Sie diese Kluft fest und wie hängt es mit dem Gesamtkonflikt in der Region zusammen?

Neidhardt: Die Mizrahim, die Jüdinnen und Juden aus an arabischen und islamischen Ländern wurden lange auch "das zweite Israel" genannt. Sie waren im zionistischen Plan nicht vorgesehen und kamen eher als Platzfüller, nachdem Ben Gurion festgestellt hat dass "wir erst ein Volk ohne Land und jetzt ein Land ohne Volk sind". Sie waren immer zweite Klasse und haben bis heute keinen wirklichen Machteinfluss, auch wenn der Präsident, Herr Katzav aus dem Iran kommt. Dass Amir Peretz, der derzeitige Verteidigungsminister, Chef der Arbeitspartei werden konnte, war so Aufsehen erregend, weil er Marokkaner ist. Dieser Konflikt macht auch deutlich, dass es sich in Israel/Palästina weniger um einen Religionskonflikt als mehr um einen kolonialen oder rassistischen Konflikt handelt - in großen Teilen. Das ist jetzt eine extrem verkürzte Analyse. Der Film "The Black Panthers (in Israel) Speak" aus dem mec film Katalog befasst sich ausführlich mit dem Thema.

MM: Das rassistische Element in dem Konflikt ist offenkundig. Dennoch nehmen Muslime kaum jüdische Stimmen wahr, die sich dagegen auflehnen. Liegt es daran, dass Muslime jene Stimmen (und z.B. bisher auch Ihre Filme) wenig kannten oder sind jene Stimmen wirklich ein verschwindende Minderheit?

Neidhardt: Ich glaube, dass der Protest in der Regel nicht religiös kategorisiert wird, also Juden nicht als Juden protestieren, sonder als Kritikerinnen und Kritiker der politischen Struktur, der Regierung oder der Zustände. Und man muss auch bedenken, dass es so viele Jüdinnen und Juden nicht gibt. Es macht ja oft den Eindruck von Masse, wenn über jüdischen Einfluss oder jüdische Macht gesprochen wird, was aber eher mit Phobien zu hat, glaube ich, als mit der konkreten Anzahl von Menschen jüdischen Glaubens. Positiv wird weniger berichtet und vielleicht auch einfach mehr im Proporz. Da müsste man genauer hinsehen, was Wahrnehmung ist und was tatsächliche Zahlen sind.

MM: Werden ihre Filme auch im Fernsehen gezeigt?

Neidhardt: Der WDR hat bisher zwei der Filme gekauft, die mec film im Kino ausgewertet hat, Rana's Wedding (von Paradise Now Regisseur Hani Abu-Assad) und Atash von Tawfik Abu Wael, der in Cannes den internationalen Kritikerpreis gewonnen hat. Route 181 - Fragmente einer Reise in Palästina-Israel ist von WDR und ARTE koproduziert und lief auf beiden Sendern, Promises war im TV bevor ich den Film im Verleih hatte, allerdings lief er dort in einer gekürzten Fassung. News from Home ist auch mit Fensehgeldern koproduziert und wird folglich ausgestrahlt.

MM: Fahren Sie eigentlich noch nach Israel und Palästina?

Neidhardt: Ja, mindestens ein Mal im Jahr, in den letzten 12 Monaten waren vier Mal.

MM: Welchen Film aus Ihrem bisherigen Angebot mögen Sie am meisten?

Neidhardt: Das ist schwer zu sagen. Wenn ich nicht eine tiefe Freundschaft mit dem Film aufbaue, kann ich ihn nicht vermarkten und ich habe bisher keine wirklichen Kompromisse gemacht - sonst wäre der Katalog wahrscheinlich umfangreicher.

MM: Wenn Sie den Israelis wie Palästinensern gleichermaßen einen Rat geben könnten und Ihre Stimme auch Gehör finden würde, was würde Sie den Menschen empfehlen?

Neidhardt: Oh, ich bin sehr schlecht in Empfehlungen. Ich lebe in einer extrem privilegierten Situation - in Frieden, Sicherheit, weiß in Deutschland und mit deutschem Pass. Gedanken, die mir hier plausibel erscheinen, kommen mir vor Ort lächerlich vor.

MM: Frau Neidhardt, wir danken Ihnen für das Interview.

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