Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Tilo Schönberg
 

Muslim-Markt interviewt 
Tilo Schönberg, Betreiber der Homepage 0815-Info

9.12.2006

Tilo Schönberg (Jahrgang 1965) geboren in Sachsen absolvierte eine Lehre bei der Deutschen Reichsbahn und war ab 1984 bis zum Ende der DDR Berufssoldat bei der Volksmarine. In 1991 ist er nach Hamburg umgezogen und arbeitete als zunächst als LKW-Fahrer und später in der Branche als Disponent und Speditionskaufmann

In 2004 war er Mitbegründer der Wahlalternative im Hamburger Süden die 2005 in WASG umbenannt wurde und seit der Gründung der Partei Mitglied im Hamburger Landesvorstand. Nach dem Ludwigsburger Parteitag ist er aus Protest über den Umgang mit linken Kritikern von allen Ämtern zurück- und aus der Partei ausgetreten.

Tilo Schönberg ist verheiratet und lebt in Hamburg.

MM: Sehr geehrter Herr Schönberg. Sie sind Betreiber der Homepage 0815-Info. Warum ausgerechnet dieser Name, wenn Sie doch alles Andere liefern wollen als 0815 Infos?

Schönberg: Das ist Sarkasmus pur. Wir werden mit 0815-Infos, also belanglosen Informationen, tagtäglich überschüttet. Das macht es nicht gerade einfach, die wichtigen Informationen für sich herauszufiltern. Marktschreierische Schlagzeilen – wenig Inhalt und das wird dem Bundesbürger dann als "Wissen" verkauft. Dem wollte ich, persönlich, etwas entgegen setzen. Natürlich liefern wir keine "0815-Infos", sondern Nachrichten und Informationen die Sie derartig nicht bei Springer oder Holtzbrinck & Co. finden werden.

0815-Info ist 2003 entstanden, auch als Antwort darauf, dass der gesamte Mainstream den enormen Unstimmigkeiten rund um die Anschläge in den USA am 11. Sept. 2001 keinerlei Beachtung schenkte, sie gar massiv unterdrückte.

Sehr schnell kamen dann auch andere Themen dazu, Soziale und Politische. Wenn man, so wie ich, politisch ziemlich weit „Links“ steht, hat man in diesem Land jede Menge Stoff, über den man schreiben und berichten kann.

MM: Derzeit vertritt die "Linke" in der internationalen Politik oft Positionen, die mit denen der so genannten gewaltfreien "Islamisten" übereinstimmt. Haben Sie kein Sorge in eine bestimmte Ecke abgedrängt zu werden - auch aufgrund dieses Interviews?

Schönberg: Stimmt sie? Über diese Positionen müsste man sich im Einzelnen unterhalten. Wer oder was ist die „Linke“? Was ist links? Wer definiert den Begriff „Islamisten“? Wenn man hierzulande zum Beispiel gegen den G8-Gipfel protestiert gilt man schon als Linksextremist, wird vom Verfassungsschutz beobachtet usw. Die Erkenntnis, dass das daraus resultieren könnte, das immer mehr Menschen in Deutschland Angst vor einer sozialen Schieflage haben, ist bei den herrschenden Politikern noch nicht angekommen oder man will es nicht zu Kenntnis nehmen.

In Zeiten des „war on terror“ sollten wir alle mit Begriffen wie „-ismus“ und/oder „isten“ sehr vorsichtig umgehen. Übrigens auch mit dem Begriff "zionistische Medien". Meiner bescheidenen Meinung nach haben unsere Medien weit weniger mit Zionismus zu tun, dafür aber mehr mit Korruption. In den Redaktionsstuben herrscht der schnöde Mammon. Es sind quasi Pressenutten. Der, der bezahlt, bestimmt den Text. Einen investigativen Journalismus finden Sie in Deutschland derzeit kaum noch.

MM: Welche Gedanken bewegen Sie als ehemaligen Marinesoldaten, wenn Sie von Deutscher Marine in Auslandseinsätzen hören?

Schönberg: Ganz ehrlich, es drängt sich einem das Bild auf, das die Abgeordneten des Bundestages, die diese Einsätze beschließen, nicht wirklich wissen, was sie da tun. Sie werden quasi verarscht, zum Beispiel von Lobby-Organisationen aus dem Militär-Industriellen Komplex. Nehmen wir nur den aktuellen Einsatz vor der Küste Libanons. Offizieller Grund: Mögliche Waffenlieferungen an die Hizbollah verhindern. Quatsch mit Soße!

In Wirklichkeit will man wohl eher die neuesten Waffensysteme, wie die Fregatte "Sachsen", unter regulären Einsatzbedingungen testen. Deshalb sind nicht "mögliche Waffenlieferungen an die Hizbollah" der Grund für diesen Einsatz, zumal der auch nur mit stark beschränkten Befugnissen durchgeführt wird, sondern dieser Einsatz ist Teil des militärischen Gesamtkonzeptes, das die Bundeswehr von einer reinen Verteidigungsarmee zu einer weltweit einsatzfähigen Interventionstruppe machen soll. Intervention heißt Aggression.

0815-Info war eine der ersten Webseiten, die schon Anfang 2004 auf derartige „Planspiele“ der Bundesmarine aufmerksam machten. Das Weißbuch der Bundeswehr 2006 geht weg vom Begriff der "Landesverteidigung", hin zur "Verteidigung von Transportkorridoren und der deutschen Interessen weltweit". Wer bestimmt, was deutsche Interessen sind? Die Wirtschaft? Schreiben wir anderen Ländern damit nicht vor, dass sie ihre Politik an deutschen Interessen auszurichten haben? Wenn nicht, gibt es dann „Besuch“ von der Bundeswehr? Aus Soldaten zur Verteidigung des eigenen Landes werden Aggressoren. Das hatten wir schon mal und wo das hingeführt hat, ist auch bestens bekannt.

Diese gesamte Entwicklung macht mir große Sorgen.

MM: Schon mehrmals ist es uns aufgefallen und immer wieder stellen wir die gleiche Frage: Wie kommt es, dass ehemaliger DDR Bürger bezüglich der "westlichen" Politik oftmals kritischer sind als westliche Bundesbürger. Hängt es mit der antikapitalistischen Erziehung in der ehemaligen DDR zusammen oder war das politische Bewusstsein damals doch größer, als man es sich im Westen vorstellen kann?

Schönberg: Antikapitalistische Erziehung und politische Bildung wurde in der DDR natürlich groß geschrieben. Aber das ist eine Erkenntnis aus der Zeit Hitlerdeutschlands. Nur politisch aufgeklärte Menschen können die Zusammenhänge von kapitalistischen Wirtschaftsinteressen und "politischen Unruhen" in den verschiedenen Ländern und Erdteilen nachvollziehen. Die Menschen politisch zu bilden war ein erklärtes Ziel der DDR. Und wenn man dann erlebt, dass sich das Gelernte im realen Leben bestätigt, dann schafft das ein politisches Bewusstsein, das, ich würde nicht sagen größer, aber ausgeprägter war. Leider "verstecken" viel zu viele ehemalige DDR-Bürger ihre politische Bildung.

MM: Warum?

Schönberg: Ein ganz wichtiger Grund dürfte die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern sein. Das ist ein enormer wirtschaftlicher Druck. Dazu kommt noch eine gehörige Portion Resignation. Das "Wir"-Gefühl, das in der DDR vorhanden war, die Solidarität untereinander, ist fast weg.

MM: Als Mitbegründer der WASG haben sie die Partei, deren Landesverband sie mitgegründet jetzt verlassen. Welche "Wahlalternative" sehen sie denn noch?

Schönberg: Das ist nicht leicht zu beantworten. Zum einen war die Chance, mit der WASG etwas politisch Neues zu schaffen, riesengroß. Diese Chance wurde verspielt. Es gibt in Deutschland ein Bedürfnis nach linker Politik und die neoliberalen Einschnitte im Sozialsystem der Bundesrepublik lassen immer mehr Menschen nach einer politischen Alternative suchen. Aber die WASG hat sich entschieden, in der Linkspartei.PDS aufzugehen. Das ist nicht mein Weg, zumal die L.PDS den neoliberalen Kurs genauso mitgeht, sobald sie in "Regierungsverantwortung" kommt. Aktuell sieht man das in Berlin, wo die PDS, nach einer riesigen Wahlschlappe, eben so gerade noch als Regierungspartner für die SPD in Frage kam und jetzt schon wieder 880 Wohnungen aus kommunalen Beständen verkloppt. Viele in der WASG glauben tatsächlich noch, man könne die PDS "von innen heraus" ändern, aber dazu sind die Strukturen gar nicht vorhanden.

Innerhalb der WASG hat sich ein "Netzwerk Linke Opposition" gegründet und es mehren sich die Stimmen, das daraus eine neue Partei entstehen könnte. Ob das was wird, werden wir sehen. 0815-Info wird das NLO jedenfalls kritisch begleiten. Ansonsten bleibt nur der außerparlamentarische Druck - der politische Druck der Straße. Und natürlich die persönliche, politische Weiterbildung. Zum Beispiel wäre Marx es wert, das man ihn mal wieder öffentlich diskutiert.

MM: Nun spricht Marx die Menschen, die eben auch eine spirituelle Komponente haben, nicht unbedingt an. Und beispielsweise betrachtet man in der islamischen Welt Marx auch als Vertreter der "westlichen Welt". Warum gelingt es den Intellektuellen der heutigen Zeit nicht, das zu tun, was die Intellektuellen vor 20 Jahren genau so verhindert haben: In authentischen Quellen das aktuelle offizielle "Feindbild" zu studieren? Warum laden z.B. "Linke" nicht einmal "Islamisten" ein, um mit ihnen zu diskutieren?

Schönberg: Marxismus ist auch keine Religion, sondern die wissenschaftliche Analyse der Gesellschaftsform, in der wir derzeit leben – dem Kapitalismus.

Zu Ihrer Frage: Meines Erachtens ist die "Linke", wie immer man diesen Begriff auch definieren mag, noch immer mit sich selbst beschäftigt. Nach dem Zusammenbruch des so genannten Ostblocks mussten linke Strategien neu ausgerichtet, bisherige Erkenntnisse neu überdacht werden. Dieser Prozess hält noch immer an. Ein Neu-Anfang wurde bei der Bundestagswahl 2005 gemacht, als es gelang die L.PDS zusammen mit WASG-Mitgliedern in den Bundestag zu hieven.

Diese Entwicklung ist durchaus positiv aber in den einzelnen Landesteilen, Städten und Gemeinden steckt das alles noch so ziemlich in den Startlöchern. In Hamburg zum Beispiel hat die WASG im Bereich Ausländerpolitik mit Zaman Masudi eine unglaublich aktive Frau in ihren Reihen. Aber auch sie kann nicht mehr wie arbeiten und ein Tag hat nur 24 Stunden. Was ich damit sagen will, ist, dass die Personaldecke der "Linken" zu dünn ist. Es fehlen einfach Menschen, die sich engagieren. Wenn das mehr wird, kommen auch die Gespräche mit Moslems in Gang, von mir aus auch Gespräche mit "streng gläubigen" Moslems – ich mag das Wort "Islamisten" nicht.

MM: Wir versuchen gläubig zu sein, aber "streng" sind wir nicht. Erlauben Sie eine abschließende Frage. Der Kampf des kapitalistischen Systems von den Varianten einer sozialen Marktwirtschaft bis hin zum Raubtierkapitalismus beschäftigt die Menschen schon ein Jahrhundert, auch mit den Analysen eines Marx und anderer. Warum aber fällt es den Intellektuellen so schwer sich vorzustellen, dass es auch völlig andere Alternativen geben könnte, in denen nicht die Wirtschaft, sondern der Mensch im Mittelpunkt steht, mit all seinen Stärken und Schwächen?

Schönberg: Intellektuelle sind Denker. Das müssen nicht Akademiker sein. Wenn man sich mal ansieht, wer wirklich Ahnung von der Gesellschaft hat, wie sie nun mal ist, dann - verzeihen Sie - stehen Akademiker nicht immer in der vordersten Reihe.

Wenn man zum Beispiel den Sozialismus als eine Wiedererlangung der Kontrolle des Menschen über seine Schöpfungskraft definiert, als eine ökonomische Gerechtigkeit, dann muss der Sozialismus auch von denjenigen durchgesetzt, definiert und diskutiert werden, die einen Schöpfungsprozess bewirken, also vom Proletariat selbst. Intellektuelle, die von dem Gedanken der Gerechtigkeit immer inspiriert wurden - der Begriff Sozialismus ist ja erst ca.160 Jahre alt - können auch Proletarier sein, und Proletarier Intellektuelle. Das scheint mir eine sinnvolle Kombination.

Meiner Meinung nach muss eine gesellschaftliche Rückkopplung zwischen intellektuellen, linken, kulturellen und sozialen Kräften in einer Gesellschaft immer gegeben sein. Eine Selektion führt da nur zu situativem Autismus und Stagnation.

MM: Herr Schönberg, wir danken für das Interview.

Schönberg: Ich muss mich bedanken, Ihre Website ist hochinteressant! Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie, Ihren Glaubensschwestern und –brüdern eine friedvolle Zukunft. Alles Gute für Sie.

 

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