Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. E.P.Fischer
 

Muslim-Markt interviewt 
Prof. Dr. Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker

19.6.2007

Ernst-Peter Fischer (Jahrgang 1947) hat Mathematik und Physik in Köln und Biologie am California Institute of Technology in Pasadena (USA) studiert und seine Promotion 1977 abgeschlossen. Nach einem Habilitationsstipendiat der DFG im Bereich Wissenschaftsgeschichte (Habilitation 1987) wurde er Hochschullehrer für Wissenschaftsgeschichte an der Universität in Konstanz.

Daneben ist er wissenschaftlicher Berater der Stiftung "Forum für Verantwortung", die zahlreiche Bildungsinitiativen auf den Weg gebracht hat.

Prof. Fischer ist Autor zahlreicher Bücher und träger zahlreicher Auszeichnungen: Lorenz-Oken-Medaille (2002), Treviranus-Medaille (2003), Eduard-Rhein-Kulturpreis (2003), Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für Naturwissenschaftliche Publizistik (2004) und Sartorius-Preis der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (2004). Als Wissenschaftspublizist schreibt er zudem Artikel für die Zeitschriften GEO, Bild der Wissenschaft, Weltwoche und die FAZ. Von 1989 bis 1999 war er Herausgeber des „Mannheimer Forum” als Nachfolger von Hoimar von Ditfurth.

Prof. Fischer lebt in Konstanz mit seiner Frau und hat zwei Kinder.

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Fischer, was kann der heute lebende Mensch für seine Zukunft aus der Wissenschaftsgesichte lernen?

Prof. Fischer: Er kann lernen, dass eine Zukunft, die sich lohnt und diesen Namen verdient, Wissenschaft braucht. Wir haben verstanden, dass Geschichte nicht etwas ist, was uns zustößt. Geschichte ist das, was wir machen - vor allem durch Wissenschaft, wie es Blick in den Alltag zeigt. Sie bestimmt unsere Gegenwart, wie Stichworte wie Automobil, E-Mail, Fernsehen, Rundfunk und mehr verdeutlichen. Wir müssen wissen, aus welchem Grundgedanken solche Entwicklungen betrieben werden.

MM: Welches Ziel darf, kann oder muss Naturwissenschaft ihrer Meinung nach aus der Erfahrung der Geschichte heraus haben?

Prof. Fischer: Die moderne Naturwissenschaft hatte ursprünglich nur ein Ziel, nämlich die Lebensbedingungen des Menschen zu erleichtern, seine Existenzmöglichkeiten zu verbessern. Daran sollte man ab und zu erinnern. Dabei kann man auch darauf hinweisen, dass der Grundantrieb zur Wissenschaft aus der Freude kommt, die uns das Naturerleben macht. Wissenschaft kann Freude vermehren und Leiden vermindern. Darum geht es - immer und immer wieder.

MM: Ist das wirklich so? Malen Sie hier nicht ein zu rosiges Bild der Ziele? Waren es nicht oft auch militärische Forschungen, die zum Fortschritt beigetragen haben, schließlich gab es die Atombombe vor dem Atomkraftwerk und selbst das so schöne Wort "Bionik" ist von einem Militärforscher entwickelt worden.

Prof. Fischer: Das Militärische spielt leider in unserem Leben eine Rolle, keine Frage. Der Krieg ist der Vater aller Dinge, wie schon Heraklit gewusst hat. Das ist schlimm, aber für alle Menschen und nicht spezifisch für Wissenschaftler. Die Atombombe haben sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag von demokratisch verfassten Staaten gegen eine nationalsozialistische Mörderbande konstruiert. Und was die Atomkraftwerke angeht, so warten Sie einmal die Zeit ab, wo wir auf deren Energie angewiesen sind, weil der letzte Tropfen Öl verbraucht ist.

MM: Nun ist die Wissenschaftsgeschichte auch immer eine Machtgeschichte gewesen. In wie weit kann die historische Betrachtung der Naturwissenschaft von anderen Disziplinen, wie z.B. Politik, Wirtschaft usw. entkoppelt werden?

Prof. Fischer: Sie kann es nicht. Allerdings - es sind die anderen, die sich von der Wissenschaft abkoppeln. Wenn man ein normales Geschichtsbuch aufschlägt, das den politischen Werdegang von Staaten oder die ökonomischen Bedingungen von Völkern beschreibt, hat man den Eindruck, dass das alles ohne Wissenschaft gegangen ist und geht. Dies ist ein großer Irrtum. Wir verdanken unseren Wohlstand der Entscheidung, Wissenschaft zu treiben. Und darüber sollte man etwas wissen. Dass die Wissenschaft selbst von politischen Gedanken geprägt ist, kann dann in einem zweiten Schritt erläutert werden. Ein klassisches Beispiel findet man beim Immunsystem, dessen Wirken immer noch als Krieg im Körper dargestellt wird. Das erklärt sich aus den Kriegen, in die Nationen im 19. Jahrhundert verstrickt waren, als die Medizin sich an die Erkundung der Immunabwehr machte. Wahrscheinlich verstehen wir unseren Körper besser, wenn wir statt der militärischen Metaphern ökologische verwenden. Die Zeit ist jetzt reif dafür.

MM: Naturwissenschaft und Bildung hängen Ihrer Meinung nach in Deutschland nicht unbedingt zusammen. Wie ist das möglich in einem Land, das vor allem von der angewandten naturwissenschaftlichen Leistung im Ingenieursbereich lebt?

Prof. Fischer: Naturwissenschaft und Bildung hängen in Deutschland nicht nur nicht zusammen. Sie werden eigens und mit großer Sorgfalt getrennt. Das Buch von Dietrich Schwanitz über "Bildung" konnte vor allem deshalb zum Bestseller werden, weil es seinen Lesern versprach, sie nicht mit Naturwissenschaften zu belästigen. Sie gehören nicht zur Bildung. Punkt. Deshalb wissen wir auch gar nicht, was Sie in der Frage ansprechen, dass wir unseren Wohlstand Ingenieuren verdanken. Nun fragen Sie, wie sich das Desinteresse der Gebildeten an den Wissenschaften erklärt. Warum rennen Menschen in Massen in Museen, ohne wirklich etwas von moderner Kunst zu verstehen, meiden aber wissenschaftliche Vorträge, weil sie Angst haben, hier etwas nicht zu verstehen? Ein Hinweis liefert die Bemerkung von Marcel Reich-Ranicki, der sich dazu bekennt, selbst die naturwissenschaftlichen Schriften von Goethe nicht zu lesen, weil ihn die Natur langweilt. So spannend die Naturwissenschaften sein können - sie wirken oft langweilig, weil sie alles erklären bzw. zu erklären scheinen. Was Menschen mehr interessiert, ist das Geheimnisvolle. Vielleicht sollten die Physiker, Biologen und andere Naturforscher mehr sagen, dass selbst einfach wirkenden Dinge wie Licht geheimnisvoll bleiben, auch wenn man viel über sie weiß. Das Leben bleibt doch trotz aller Molekulargenetik ein wundervolles Geheimnis."

MM: Kann es auch damit zusammen hängen, dass heutige Naturwissenschaftler oft die Faszination der Schöpfung verkennen und diese spirituelle Ader des Menschen vernachlässigen, der auch immer nach einem Sinn fragt und nicht nur nach einer Formel?

Prof. Fischer: Große Naturwissenschaft steckt voller Spiritualität, aber wir haben diese Dimension aus den Schulen verbannt. Wir lehren dort nur das Rationale und Systematische und übersehen das Irrationale und Emotionale. Das ändert sich in diesen Tagen, was aber nicht leicht sein wird. Wir haben im Westen Angst vor der Faszination. Sie ist nicht berechenbar, sie entzieht sich der Rationalität, aber sie gibt es natürlich. Große Forscher sind besessen von ihrem Tun. Sie können nicht anders. Sie werden getrieben, und die Menschen spüren das. Sie spüren auch, dass Wissenschaft sie zu Objekten macht. Wissenschaft will ja objektiv sein. Aber Menschen sind keine Objekte. Sie suchen, wie Sie sagen, immer auch nach subjektivem Sinn, nach "logos", wie es griechisch heißt. Deshalb interessieren sich bis heute mehr Menschen für Astrologie als für Astronomie. Die Wissenschaft sollte das wissen, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wendet. Vielleicht sollte man immer zwei Antworten auf eine Frage geben - eine richtige und eine wichtige. Es gibt das schöne Beispiel von Heinrich von Kleist: Warum stürzen Gewölbe nicht ein? Die richtige Antwort handelt von physikalischen Kräften; die wichtige lautet: Weil alle Steine gleichzeitig fallen wollen. Das ist schöner, aber auch schwieriger.

MM: Wissenschaftsgeschichte ist auch eine Geschichte von Patenten und Wissenschaftsmonopolen, sei es das Wissenschaftsmonopol der Kirche im Mittelalter oder die heutigen Monopole bei Aids-Medikamenten und Atomenergie mit der daran gekoppelten Gewalt gegen alle, die jenes Monopol antasten? Kann man aus der Wissenschaftsgeschichte Handlungsvorschläge entwickeln, mit der die Welt friedlicher gestalt werden kann?

Prof. Fischer: Der Friede und das Friedliche, da hat die Wissenschaft Mühe, die ja die evolutionäre Natur des Menschen und damit seine Kampfbereitschaft im Auge hat. Wissenschaft kann Versöhnung erklären, aber nur nach der Aggression. Wenn aus der Geschichte der Wissenschaft Handlungsvorschläge erwartet werden, kenne ich nur den Hinweis, das Wissen offen zu legen und allen Menschen bzw. Staaten zur Verfügung zu stellen. Das Geheimnisvolle ist schön - siehe oben -, aber Geheimhaltung ist von übel.

MM: Obwohl Naturwissenschaftler sicherlich zu den wichtigsten Persönlichkeiten im Lande zählen, haben sie weitestgehend ihre Vorbildfunktion verloren. Warum fällt es so schwer, Naturwissenschaftler als Vorbilder für die Jungen zu vermitteln?

Prof. Fischer: Wir suchen nach den falschen Naturwissenschaftlern. Wir zeichnen die technisch guten Personen aus - etwa mit Nobelpreisen - und übersehen diejenigen, die sich interdisziplinär betätigen und dabei eventuell irren. Der kürzlich verstorbene Carl Friedrich von Weizsäcker ist kaum als Physiker und mehr als Philosoph bekannt geworden. Wir müssen Wissenschaftlern mehr Mut machen, sich zur Qualität ihres Denkens zu bekennen - wenn sie es umfassend kennen. Die Wissenschaft sollte auch aus sich heraus dazu beitragen, einen Star zu kreieren. Wissenschaft braucht ein Gesicht, vor allem im Medienzeitalter.

MM: Als wissenschaftlicher Berater der Stiftung "Forum für Verantwortung" denken Sie nicht nur über eine nachhaltigen Entwicklung nach sondern auch über die Beziehung von Naturwissenschaft, kultureller Werte und Religion. Nun ist es bekannt, dass sehr viele große Naturwissenschaftler eine hohe Ehrfurcht vor der Schöpfung haben, warum spiegelt sich das so wenig in ihren modernen Schriften wieder?

Prof. Fischer: Ihnen fehlt der Mut, sich zu bekennen. Vermutlich leben viele Naturwissenschaftler noch in dem Glauben, dass sie Konkurrenten zur Religion sind. Tatsächlich haben beide - die Religion und die Wissenschaft - im 19. Jahrhundert um Anerkennung gerungen, und eine zeitlang sah es so aus, als ob die Wissenschaft triumphieren könne. Schließlich bewältigte sie die Angst der Menschen - etwa vor Seuchen - besser. Tatsächlich gehören Wissenschaft und Religion sehr eng zusammen - zumindest in Europa, wie der historische Blick zeigt. Wir sind Nachkommen von Menschen, die sowohl Gott gefunden als auch die Wissenschaft entwickelt haben. Ich habe gerade eine Biographie von Max Planck abgeschlossen. Bei ihm heißt es, dass der religiöse Mensch sich am Anfang zu Gott bekennt, während der naturwissenschaftliche Mensch am Ende zu Gott findet. Wer wirklich etwas über die Natur versteht und dies spürt, macht eine religiöse Erfahrung. Was denn sonst?

MM: Sie sind inzwischen Großvater; was wollen Sie Ihrem Enkel an Naturwissenschaft vermitteln?

Prof. Fischer: Ich bin davon überzeugt, dass Menschen primär ästhetische Wesen sind, die sinnlich neugierig die Welt erkunden und erleben. Diese Lust möchte ich in meinem Enkel finden und fördern. Er soll Freude an der Wahrnehmung der Natur bekommen. Wenn er ihre Schönheit entdeckt, bekommt er vielleicht Lust, anschließend die Naturgesetze zu erkunden und zu nutzen. Kindern muss man Angebote machen. Entscheiden können nur sie allein.

MM: Herr Prof. Fischer, vielen Dank für das interview.

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