Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Scheich Hassoun
 

Muslim-Markt interviewt
Scheich Dr. Ahmad Badr Al-Din Hassoun, Großmufti Syriens und Vorsitzender des Fatwa–Rates

11.9.2008

Scheich Dr. Hassoun wurde 1369 n.d.H., (1949 n.Ch.) in Aleppo geboren. Sein Vater war der namhafte Wissenschaftler Scheich Mohamed Adib Hassoun.

Er erwarb die Doktorwürde mit Auszeichnung an der Universität für Islamische Studien in der Rechstschule der Schafiiten. Seine Doktorarbeit mit dem Titel „Enzyklopädie des Imam Al-Schafi'i“ umfasst inklusive Konkordanz und Quellennachweisen elf Bände mit mehr als 4500 Seiten. Für seine Rede vor dem Europäischen Parlament über die Einheit Gottes, Einheit der Kultur und Einheit der Menschen erhielt er von der Sunan Kaligaka Gokgakarta Universität die Ehrendoktorwürde.

Seit Scheich Dr. Hassoun mit der Ausübung der Rechtswissenschaft im Jahre 1967 begann, war er als Redner und Lehrer in zahlreichen Madrassen und Moscheen in Aleppo tätig, zuletzt an der Al-Raouda Moschee.

Er nahm an zahlreichen internationalen Konferenzen teil, seine Reisen führten ihn nach: Libanon, Saudi Arabien, Qatar, Marokko, VA Emirate, Ägypten, Kuwait, Libyen, Oman, Bahrain, USA, Kanada, Iran, Srilanka, Türkei, Frankreich, Griechenland, Indien, Kenia, Italien, England, Österreich, Russland, Armenien, Norwegen, Deutschland und Indonesien.

Er war der erste Redner vor dem Europäischen Parlament im Jahr des Dialogs der Kulturen und ist Mitglied der Internationalen Vereinigung zur Annäherung der islamischen Konfessionen im Iran sowie Vorsitzender des Presseausschusses im Islamischen Oberrat zur Annäherung der islamischen Konfessionen und der Islamischen Organisation für Erziehung, Bildung und Kultur. Zudem ist er Vorsitzender des Scharia-Beirats für Finanzen und Kredite der Syrischen Zentralbank.

Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählen: Die Verbesserung der Lage der islamischen Welt, die Verbindung, Zusammenarbeit und Kooperation der religiösen Organisationen untereinander zur Fortentwicklung der Gesellschaft,  Anleitung zum Dialog zwischen den Kulturen zwecks Verbesserung der Beziehungen unter den Menschen und zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten, menschliche und wirtschaftliche Gerechtigkeit in den Gesellschaften, die interkulturellen Beziehungen zwischen den Völkern.

Zu seinen zahlreichen Werken gehören u.a.: Die Enzyklopädie "Imam al-Schafi'i" und die Enzyklopädie "Adab al-Fatwa" (Bildung des religiösen Rechtsgutachtens).

Er ist Gründer der Organisation "Al-Fourkan", einer gemeinnützige Gesellschaft mit Kindergarten und Werkstatt für sozial minderbemittelte Mädchen. Anfang der Neunziger Jahre leitete er die Gesellschaft für medizinische und gesellschaftliche Versorgung in Aleppo, die 10 Gesundheitszentren, ein Altersheim und das Omer bin Abdulaziz Krankenhaus betreibt und mehrere Niederlassungen in verschiedenen syrischen Regierungsbezirken hat. Dabei gründete er einen Fonds zur Unterstützung mittelloser Patienten, die eine chirurgische Operation benötigen. Er ist Mitglied des Komitees zur Unterstützung der Intifada und Bekämpfung des zionistischen Plans.

Scheich Dr. Ahmad Badr Al-Din Hassoun ist Großmufti der Arabischen Republik Syrien und Vorsitzender des Fatwa–Rates.

Scheich Dr. Hassoun ist verheiratet hat fünf Kinder und inzwischen acht Enkelkinder.

Das Interview wurde mit den Fragen des Muslim-Markt in Damaskus geführt von Kathleen Göbel und übersetzt von Aly Abdelwahab.

MM: Wie ist der wissenschaftliche Werdegang eines Geistlichen, um Großmufti in Syrien zu werden?

Scheich Dr. Hassoun: Es gibt keinen bestimmten Werdegang für Theologen im Islam. Der Islam hat Religionswissenschaftler, die ihr Wissen durch wissenschaftliche Studien in den Schulen und Universitäten in unseren Ländern erwerben, hinzu kommen Lesungen, Forschungen, eigenes Bestreben sowie Weiterbildung durch Zusammenkünfte mit Gelehrten. Der Wis-sensanwärter kann in den Wissensstufen steigen, bis er einen wissenschaftlichen Grad erreicht, der es ihm ermöglicht die Erlaubnis der Gelehrten, Lehrer, Hafez und Foqaha zu erhalten, von ihnen weiteres Wissen zu erwerben. Ein Großmufti wird aus einer Vielzahl von Gelehrten ausgewählt, er muss großmütig, nachsichtig und dialogfähig sein, um den kulturellen Unterschieden gerecht zu werden. Der Mufti ist nicht für eine bestimmte Schule oder bestimmte Religion zuständig, sondern für ganz Syrien mit all seinen unterschiedlichen Konfessionen.

MM: Welche Aufgaben hat der Großmufti in Syrien und welche Verantwortung lastet auf ihm?

Scheich Dr. Hassoun: Der Mufti in Syrien unterscheidet sich nicht von einem Mufti anderswo, da seine Aufgaben seelisch-religiöser Art sind. Außerdem gehört es zu seinen Aufgaben Fatwa (islamische Rechtssprechung) zu geben. Weitere Aufgaben hängen von der Persönlichkeit und dem Willen des Muftis ab. Er soll neutral bleiben. Der Mufti ist ein Bürger des Landes und kommt nicht von einem anderen Planeten; er ist in der Lage sein Wissen, sein Geschick und seine Beziehungen mit den anderen Gelehrten weltweit zum Dienste seines Landes einzusetzen - und dies tue ich. Der Mufti ist, meiner Meinung nach, ein Bürger, der sein Leben und seine Zeit für seine Heimat und seine Landsleute einsetzt. Dementsprechend hat er bestimmte Rechte und Pflichten. Bezüglich der Pflichten, so erfülle ich meine Aufgaben, ob sie von mir offiziell oder inoffiziell verlangt werden oder auf freiwilliger Basis erfolgen.

MM: Wie ist die Rollenverteilung zwischen Religion und Politik in Syrien?

Scheich Dr. Hassoun: Es gibt in Syrien keine Rollenverteilung zwischen Politik und Religion. Die Syrer sind gläubig, jeder auf seine eigene Art und Weise. Die politische Rolle jedes syrischen Bür-gers hängt nicht von seiner Religion ab. Die religiösen Institutionen haben ihre Bereiche, mit denen sie sich befassen, in die sie Arbeit hineingeben und sie vereinen sich mit der Politik und der Verwaltung, solange das Ziel im Dienste des Menschen ist, worum sich alle bemühen. Politik ohne Moral führt zum Verfall des Menschen und zur Zerstörung der Heimat. Durch Moral wird gute Politik vollkommen. Syrien ist kein religiöser Staat und lehnt es ab, ein solcher zu sein, was jedoch andere Mächte in der Region versuchen zu schaffen. Wir sind ein ziviler Staat, deren Bürger zusammen arbeiten, auch wenn sie andere Weltanschauungen haben.

MM: Syrien ist ein Land voller religiöser Kultur in dem die Gesänge aus der Kirche sich mit dem Gebetsruf aus dem Minarett friedlich vermischen können. Wie denken Sie aus der Erfahrung in solch einem Land über das, was die westliche Welt „Zusammenprall der Kulturen (Clash of Cultures)“ nennt?

Scheich Dr. Hassoun: Die Frage selbst zeigt, dass Syrien ein Land ist, in dem die Angehörigen verschiedener Religionen, Konfessionen und Ideologien zusammen leben; das ist nicht neu, sondern existiert seit dem es Syrien gibt. Syrien ist das einzige Land, das die Minderheiten mit ihren unterschiedlichen Zugehörigkeiten aufgenommen hat. Sie sind schnell von Wanderern und Asylsuchenden zu syrischen Bürgern integriert worden und sind der syrischen Heimat, die ihnen viel gegeben hat, loyal gegenüber eingestellt. Die syrische Geschichte kennt keinen Konflikt der Zivilisationen, Kulturen oder Religionen – sie steht für Dialog und Offenheit. Wir konzentrieren uns bei unseren Begegnungen auf den Dialog der Kulturen und nicht auf Konflikte, und sehen die Zivilisation als eine Einheit und nicht als mehrere, verschiedene Zivilisationen. Und diese Zivilisation bleibt erhalten, solange Menschen existieren - bis zum jüngsten Tag. Woran wir glauben und woraufhin wir arbeiten und wozu wir stets aufrufen, ist der Dialog zwischen den Kulturen, weil der Dialog wichtige Ergebnisse bringt und zum Zusammenleben führt und zur Verständigung zwischen den verschiedensten Kulturen in der Welt beiträgt. Syrien ist von der Notwendigkeit des Dialogs überzeugt - dies ist nicht nur ein persönlicher Standpunkt. Konflikt hat einen Sieg des Einen und die Niederlage des Anderen als Ergebnis. Doch das Leben bedeutet, sich kennen zu lernen und voneinander zu lernen, nicht jedoch Krieg und Konflikt.

MM: Syrien wird von der westlichen Welt zusammen mit dem Iran zu der Achse des Bösen gezählt. Was kann eine geistige Führungspersönlichkeit dazu beitragen, solche Hindernisse der Verständigung zu überwinden?

Scheich Dr. Hassoun: Diese Bezeichnung ist ein Vorurteil, das, nachdem die Neokonservativen an die Macht gekommen sind, entstanden ist, aber jedoch nicht die Meinung des Westens oder aller Amerikaner wiedergibt. Dies ist eine unakzeptable Überheblichkeit, Diskriminierung und Hochmut; es ist eine Erklärung für ihre Aussage: "Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns". Diese Diskriminierung basiert auf keiner wissenschaftlichen oder logischen Grundlage, jedoch die aufgezwungene Macht und die Massenmedien verbreiten diese Bezeichnung. Wer hat ihnen die Bezeichnung als „des Guten“ und den Anderen als "das Böse" verliehen? Wer nicht meiner Meinung ist, muss nicht unbedingt Böse sein und auch ich bin nicht das absolut Gute. Jemand der gerecht und mit gesundem Menschenverstand ausgestattet ist, zeigt Verschiedenheiten auf, um Konflikte zu vermeiden, und Einigkeiten, um diese zu verdeutlichen und zu weiter zu entwickeln. Dies praktiziere ich bei meinen Reisen und meinen Begegnungen, vor allem wenn keine Medien anwesend sind, die objektiv sind.

MM: Syrien beheimatet so viele Heilige Stätten, dass es kaum möglich ist, diese allesamt aufzuzählen. Alleine so heilige Stätten wie der Friedhof Babe-Sagher mit zwei geehrten Ehefrauen des Propheten (s.) oder die Schreine der geseg-neten Zainab, von Miqdad, oder Ruqaya, all dieses bedarf eines recht hohen Aufwandes, um diese historischen Stätten zu pflegen und der Nachwelt zu erhalten. Bei manchen Stätten, wie z.B. dem kleinen Schrein von Miqdad, hat aber der Besucher das Gefühl, dass die Einheimischen sich gar nicht im Klaren darüber sind, welch großen Prophetengefährten sie bei sich haben. In wie weit kann hier die religiöse Führung lehrend eingreifen und das Volk ausbilden?

Scheich Dr. Hassoun: Das es in Syrien viele solcher Plätze gibt, ist richtig, aber ein Grab oder ähnliches als heilig zu bezeichnen, ist umstritten - zwischen pflegen und verheiligen ist ein Unterschied und das Wort "heilig" darf hier nicht benutzt werden.
Ja, es gibt in Syrien viele Gräber und Mausoleen und eine Vielzahl der Gefährten und Verwandten des Propheten sind in Syrien begraben, wodurch das Pflegen dieser Plätze eine alte syrische Tradition geworden ist, die in vielen Büchern beschrieben wird. Es gibt kein Land, das sich so beispiellos darum kümmert wie Syrien. Dass es Plätze gibt, die nicht genügend versorgt sind, heißt nicht, dass diese vernachlässigt werden. Die religiö-se Institution untersucht die Echtheit dieser Plätze, aber die Versorgung etc. liegt im Bereich des religiösen Tourismus.

MM: Manche historische Stätten sind wissenschaftlich gesichert, wie das Grab Saladins, andere sind umstritten, wie der Platz, an dem Kain Abel erschlagen haben soll. Wie beurteilt die religiöse Führung diese auch touristisch attraktiven Stätten?

Scheich Dr. Hassoun: Einige dieser Orte, die Sie erwähnt haben sind sehr alt, da gibt es keine wissenschaftliche Indizien ihrer Rechtmäßigkeit; und es gibt die selben Plätze in anderen Ländern, die den selben Namen tragen. Diese Frage hängt mit der vorigen Frage zusammen: der Tourismus und die touristische Attraktivität liegen im Bereich bestimmte Behörden und nicht im Bereich der Gelehrten.

MM: Saladin hat ja kurioserweise zwei Särge, wobei der eine leer stehende ein altes Geschenk aus Deutschland ist. In wie weit wirken historische Freundschaften zwischen Deutschland und der arabischen Welt heute noch nach, selbst wenn Deutschland heute extrem einseitig Israels stützt, oder sind die Beziehungen nur noch geeignet für ein Museum, wie die alte deutsche Lock vor dem alten Bahnhof in Damaskus?

Scheich Dr. Hassoun: Die politischen Standpunkte unterscheiden sich von dem was Sie erwähnen: als der deutsche Kaiser dem Sultan Salahuddin einen Sarkophag geschenkt hat, wurde dieser aufbewahrt, ebenfalls die Lokomotive am Hidschaz Bahnhof. Zu der Frage, ob die Beziehungen nur einen Platz im Museum haben; was wird verlangt? Soll das Mausoleum von Salahuddin geändert werden oder die Lokomotive, obwohl sie nicht mehr zeitgemäß ist, in Betrieb genommen werden, damit die Beziehungen sich verbessern? Angenommen das Mausoleum wird gewechselt und die Lokomotive in Betrieb genommen, wird die Parteilichkeit für Israels aufhören? Was haben die historischen Überreste mit der heutigen Politik zutun? Die, die es ehrlich meinen haben sich weltweit gegenüber den Problemen unparteiisch zu verhalten, um die legitimen Rechte zu unterstützen, das Unrecht zu stoppen und den Frieden weltweit zu verbreiten.

MM: Wie Sie wissen, ist es in Deutschland muslimischen Frauen verboten mit Kopftuch als Lehrerin zu arbeiten. Wie ist die Situation diesbezüglich in Syrien. Dürfen Frauen selbst wählen, ob sie mit oder ohne Kopftuch im Staatlichen Dienst tätig sind, oder gibt es hierzu Vorschriften?

Scheich Dr. Hassoun: Jedes Land hat seine inneren Angelegenheiten frei zugestalten. Syrien ist unabhängig von Deutschland und es besteht kein Vergleich zwischen den Ländern. Die Frau in Syrien hat freie Wahl was ihre Bekleidung angeht, man sieht Frauen in den Schulen, in der Verwaltung oder anderswo mit und ohne Hidschab (islamische Frauenbekleidung), Syrien ist ein Land der religiösen und persönlichen Freiheit. Der Mensch in Syrien hat Entscheidungsfreiheit bezüglich seiner persönlichen Handlungen.

MM: Sie haben wiederholt Deutschland besucht. Welches ist Ihre Botschaft an die Muslime in Deutschland?

Scheich Dr. Hassoun: Ich habe schon bei meinem Besuch in Deutschland den Muslimen gesagt, was ich jetzt gerne bekräftige: Der Muslim soll sein Leben dem Land anpassen indem er lebt und seiner Heimat gegenüber loyal sein. Sein Verhalten soll nicht auffallend sein und die Konflikte und Streitigkeiten seines Herkunftslandes soll er nicht in die neue Heimat mitnehmen. Der Muslim übt seinen Glauben aus und lebt danach im Rahmen der Gesetze und der Ordnung des Landes, in dem er lebt.

MM: Erlauben Sie zum Abschluss noch eine kritische Frage: Wie ist das religiöse Verhältnis zu islamischen Gruppen, wie Hamas in Palästina oder Hizbullah im Libanon?

Scheich Dr. Hassoun: Die religiöse Führung soll sich mit allen Menschen beschäftigen, egal welcher Konfessionen sie nachgehen oder Ideologien sie haben. Die erwähnten Gruppen sind Kämpfer, die Probleme und Sorgen haben, welche mit der Beendigung des Unrechts und der Besatzung verschwinden.

MM: Sehr geehrter Scheich Badr Al-Din Hassoun, wir danken für das Interview.

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