Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Thomas Weiberg
 

Muslim-Markt interviewt
Thomas Weiberg, Autor des Buches "Zwischen Orient und Ostsee"

1.10.2009

Thomas Weiberg, geboren 1965 in Seesen am Harz hat Germanistik und Geschichte an der Freien Universität in Berlin studiert. Seit 1992 ist er als Historiker freier Mitarbeiter der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und seit 2006 dort fest angestellt. Im Laufe seiner Tätigkeit publizierte er verschiedene Arbeiten zu Frauen des preußischen Königshauses und preußisch-deutscher Geschichte, führte Lesungen und Vorträge in diesem Rahmen durch sowie zur deutsch-polnischen Geschichte. Zu seinen Publikationen gehören:

  • Wie immer Deine Dona. Verlobung und Hochzeit des letzten deutschen Kaiserpaares; 2007 Oldenburg
  • Nach Sternen jagen... Ein leben als Schwester der deutschen Kaiserin, Berlin 2008
  • Zwischen Orient und Ostsee. Die Reisetagebücher der Großherzogin Elisabeth von Oldenburg; Oldenburg 2009

Thomas Weiberg ist verheiratet und lebt in Berlin.

MM: Sehr geehrter Herr Weiberg, wie kommt man dazu, sich intensiv mit den Tagebüchern einer Großherzogin von Oldenburg zu beschäftigen, die dieses Jahr 140 Jahre alt geworden wäre, was war ihre Motivation?

Weiberg: Zu dem Thema des Buches kam ich zunächst zufällig, entwickelte aber zunehmend Interesse und Begeisterung an der spannenden Geschichte der deutsch-türkischen oder besser gesagt deutsch-osmanischen Beziehungen vor 1918. Bei den Recherchearbeiten zu meinem Buch über die Verlobung und Verheiratung des letzten deutschen Kaiserpaares, also Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Auguste Victoria, wurde ich auf die in Familienbesitz befindlichen Reisetagebücher der Großherzogin Elisabeth von Oldenburg (1869-1955) aus den Jahren 1899 und 1902 aufmerksam. Nach einer ersten Durchsicht wurde mir schnell klar, dass ich da einen Schatz in Händen hielt, der einem breiteren Leserschaft zugänglich gemacht werden sollte. Als ich dann noch einen weiteren Reisebericht von einem ihrer Begleiter entdeckte, entschied ich mich auch ihn zu veröffentlichen, denn er beschreibt in sehr anschaulicher Art die schillernde Metropole Istanbul - oder Konstantinopel, wie die Europäer ganz unkritisch damals noch sagten - im Jahr 1902, also vor den großen Umwälzungen, die 1909 mit der Revolution der Jungtürken einsetzten. Damit der heutige Leser einen Einstieg in dieses Thema findet, habe ich zwei einleitende Kapitel geschrieben - eines beschäftigt sich mit den deutsch-osmanischen Beziehungen um 1900, und das andere mit Reisen fürstlicher Frauen im Wandel der Zeit.

MM: Die Frau scheint ja viel gereist zu sein, u.a. zu den Kalifen der Osmanen, was können wir von ihr bisher weniger Bekanntes über die damaligen deutsch-osmanischen Beziehungen erfahren?

Weiberg: Der Leser erfährt eine ganze Menge von der Atmosphäre der deutsch-osmanischen Beziehungen vor 1918. Das deutsche Kaiserreich war als einzige europäische Großmacht damals an einem Erhalt des Osmanischen Reiches interessiert. Dafür waren aber keineswegs idealistische Motive ausschlaggebend. Deutschland sah - aus heutiger Sicht ganz modern - das riesige Osmanische Reich als Absatzmarkt für seine Produkte! Im Rahmen seiner Kolonialpolitik gegen Großbritannien wollte Deutschland außerdem das Osmanische Reich enger an sich binden, was lag näher, als Freundschaft mit dem Sultan zu knüpfen? So muss man diesen Fürstenbesuch 1902 verstehen, er diente der Festigung der beiderseitigen guten Kontakte. Politische Gespräche wurden natürlich nicht geführt, das war dem Kaiser und seinen Diplomaten vorbehalten, aber man lernte sich kennen, zeigte Interesse und baute herrschende Vorurteile ab. Anfang 1902 hatten sich die Deutschen und die Osmanen über den Bau der Bagdad-Bahn verständigt, dieser Vertrag bildete sicherlich den Hintergrund für den Besuch des oldenburgischen Großherzogspaares und seinen freundlichen Empfang in Istanbul.

MM: Und was haben die Besucher dem Gastgeber als Geschenk mitgebracht?

Weiberg: Bei meiner Beschäftigung mit diesem Thema bin ich auf sehr aufschlussreiche Kleinigkeiten gestoßen: Die beiderseitigen Beziehungen werden auch in den Geschenken deutlich, die man sich machte: Der Sultan erhielt einen Elefanten aus Halbedelsteinen, der in einer Oldenburger Werkstatt entstanden war, das Großherzogspaar erhielt wertvolle Teppiche, Porzellane und Seidenstoffe. Da Kaiser Wilhelm II. gerne Birnen aß, ließ ihm Sultan Abdülhamid II. sogar ab und an eine Kiste mit besonderen Birnen aus den Yildiz-Gärten senden, der deutsche Kaiser schenkte dem Sultan, mit dem er persönlich befreundet war, einen goldenen Spazierstock, der einem Stock des preußischen Königs Friedrich des Großen nachgebildet war. Die Großherzogin, die eine gute Beobachterin war, liefert uns außerdem ein sehr genaues Bild des Sultans. Abdülhamid II. wird bis heute in der europäischen Literatur häufig völlig verzerrt dargestellt, er gilt als wahnsinnig, grausam und völlig ungebildet. Großherzogin Elisabeth schildert ihn als einen charmanten, würdigen Mann, der sich seinen oldenburgischen Besuchern zunehmend öffnete, je länger er sie kennenlernte. Am Ende des Besuches stellt der deutsche Botschafter erstaunt fest, dass noch niemals der Sultan so heiter und offen erlebt wurde wie bei dem Besuch des Großherzogspaares. Also hatte man das Ziel der Reise erreicht!

MM: Was können Muslime für Eigenarten des osmanischen Hofzeremoniells erfahren, das zu jener Zeit ja nicht einmal mehr äußerlich etwas mit dem Islam zu tun hatte?

Weiberg: Das ist richtig, der osmanische Hof hatte sich seit etwa 1830 zunehmend europäisiert, aber dennoch hatten sich wichtige Bestandteile erhalten, die die Würde des Sultans als Kalif betonten. Viele europäische Besucher berichten auch darüber. So ließ der Sultan bis 1918 jedes Jahr die sogenannte "Heilige Karawane" ausrüsten, die Geschenke und ein besonderes Schreiben an den Scherifen von Mekka in diese heilige Stadt brachte. Der Abmarsch dieser großen Karawane von Istanbul muss ein farbenprächtiges Schauspiel gewesen sein, bei dem der Hof in den Augen der Europäer seinen orientalischen Glanz entfaltete. Das gilt auch für den bis 1918 ganz besonders pompös in Szene gesetzten wöchentlichen Moscheebesuch des Sultans. An diesem sogenannten "Selamlik" nahmen als Zuschauer Tausende von Menschen teil, wobei die europäischen Ehrengäste des Sultans eingeladen wurden von einem speziellen Kiosk der an der Moschee unterhalb des Yildiz-Palastes errichtet wurde, dem Zug der Hofbeamten, Sultaninen und des Sultans zur Hamidyie-Moschee beizuwohnen. Ein scheinbar islamisches Merkmal war auch bis um 1920 die Existenz des Harems, wobei der Sultan mehr Frauen hatte, als der Prophet es erlaubte. Dieser Harem erregte sehr die Phantasie der europäischen Besucher, die völlig falsche Vorstellungen vom Leben in diesem Teil des Palastes hatten. Der Leser erfährt außerdem interessante Details des Hoflebens: In der Gegenwart des Padischahs durfte nur geflüstert werden, was die Großherzogin sehr irritierte, da sie schwerhörig war. Außerdem sprach der Sultan nur türkisch mit seinen Gästen, ihn direkt anzusprechen war verboten, so dass immer über einen der Minister gedolmetscht werden musste. Allerdings verstand der Sultan sehr gut französisch. Die Damen durften in Gegenwart des Herrschers Zigaretten rauchen, mussten dies sogar tun, wenn er ihnen Zigaretten anbot. In Europa wäre das damals völlig unvorstellbar gewesen, das Rauchen galt für Damen als total unpassend. Man erfährt aber auch Kleinigkeiten, die sonst kaum berichtet werden: Die Mannschaft des Schiffes, mit dem der Großherzog gekommen war, wurde jeden Tag aus der Küche des Sultans mit Brot, Butter, Kefir (was keiner von den Europäern damals kannte!) und Sekt versorgt.

MM: Sind sie sicher, dass die Schiffsmannschaft Sekt erhalten hat? Damen als Gäste, die Zigarre rauchen müssen, während die eigenen dutzenden Ehefrauen gar nicht dabei sind und Sekt für die Schiffsmannschaften, gab es denn kein Befremden der gebildeten Gäste über solch einen merkwürdigen Islam?

Weiberg: Die Sitte mit den Zigaretten hat die Großherzogin doch etwas erstaunt, aber sie nahm es hin, zumal sie offenbar auch in Deutschland rauchte, allerdings sicherlich nicht bei offiziellen Empfängen des Hofes in Oldenburg. Man darf nicht vergessen, dass sie natürlich so erzogen war, dem Wunsch eines Kaisers, als das galt ja der Sultan in Europa, zu gehorchen. Gegenüber Kaiser Wilhelm II. war das kaum anders. Die Großherzogin und der Adjutant des Großherzogs sprechen beide in ihren Berichten von Sekt für die Schiffsmannschaft, das scheint zu stimmen. Befremdet waren sie nicht, sie nahmen es als sehr tolerante Geste der Muslime gegenüber den Europäern, denn sie berichten auch beide, dass ihnen bei den offiziellen Diners an der Tafel des Sultans im Yildiz-Palast nur Wasser serviert wurde.

MM: Was lässt sich zum damaligen Dialog zwischen Christentum und Islam aus den Tagebüchern herauslesen?

Weiberg: Die Großherzogin selbst gibt im Tagebuch folgendes Gespräch mit dem Sekretär des Sultans wieder. Jener Sekretär, Achmat Izzat al-'Abid, kurz Izzat-Bey genannt, war einer der wichtigsten Hofbeamten und Politiker dieser Zeit. Dass sie selbst sehr religiös war zeigt sich in folgendem Gespräch sehr deutlich - und auch, dass sie dem Islam voller Achtung und ohne Vorurteil entgegentrat. Die Großherzogin schreibt: „Wir sprachen über Mohamedismus und Christentum, wir sagten, dass wir doch nur eine Geschwisterschar eines Vaters seien, und dass dieses Gespräch doch wieder ein schlagender Beweis für diese Wahrheit sei, denn wo sich die Menschen vorher nie gekannt, sich nie gesehen [...], doch auf der einen Basis des Gottesglaubens fänden, da reichten sie sich die Hände als Geschwister, als Kinder eines Vaters, also als Bekannte. Er [Izzat-Bey] sagte, die Lebensaufgabe jedes Menschen sei, seine Seele so rein Gott abzuliefern, wie er sie ihm bei der Geburt gegeben; ich sagte unter allen Menschen nur Liebes anzutun und nie ein Leid, und das bestätigte er.“

MM: Wie kam es dazu, dass Selim Djem (Cem), der Nachkomme eines Sultans, einleitende Worte zu Ihrem Buch verfasst hat?

Weiberg: Über den "Ottoman Club", einen osmanischen Geschichtsverein in Köln und seinen sehr engagierten Vorsitzenden Herrn Marz habe ich Kontakt zu Prinz Selim Djem, der in der Schweiz lebt, aufgenommen. Der Prinz ist sehr interessiert an der Geschichte seiner Familie und des Osmanischen Reiches. Ich schickte ihm mein Typoskript und nach kurzer Zeit erhielt ich die Zusage, dass er ein Vorwort schreiben würde. Der Prinz ist dann auch als Ehrengast auf Einladung der Herausgeber des Buches in Oldenburg bei der Buchvorstellung dabei gewesen und hat einen interessanten Vortrag gehalten.

MM: Wie waren die Reaktionen auf das Buch?

Weiberg: Die positiven Reaktionen besonders aus der Gruppe der Menschen, die durch Herkunft oder Interesse mit der Türkei verbunden sind, sind für mich erstaunlich groß und freuen mich sehr. Es ist eben eine Gelegenheit sich einen Aspekt der gemeinsamen Geschichte zu erschließen, von dem ich bislang auch wenig wusste, der mich aber zunehmend so interessiert, dass ich bereits an einem neuen Buch arbeite, dass sich mit Sultan Abdülhamid II. befasst.

MM: Kaiserreich und Osmanisches Reich sind beide Geschichte. Kann man denn aus der damaligen Zeit etwas sinnvolles für heute ableiten?

Weiberg: Ja, natürlich kann man das. Ein Fazit aus der gemeinsamen Geschichte muss sein, dem Gegenüber, in diesem Fall die Türkei, als gleichberechtigt zu akzeptieren. Als Freund darf ich auch Dinge kritisieren oder Veränderungen anregen, aber das muss immer mit Augenmaß geschehen - und mit dem Bewusstsein, dass die Geschichte einen langen Atem hat, dass es also langsam gehen kann. Das Osmanische Reich wollte sich damals Europa ebenso annähern wie die Türkei heute. Ob die Europäer allerdings aus ihrem sehr fragwürdigen Verhalten von damals gelernt haben und heute - mehr als einhundert Jahre später - sensibler vorgehen, erscheint mir immer wieder fraglich, wenn ich an die aktuelle Situation denke. Als militärischer Partner war das Osmanische Reich für Europa damals ebenso wichtig wie die Türkei heute, wenngleich sich die Beweggründe sehr geändert haben. Auf die große Bedeutung der Wirtschaftspolitik bin ich ja oben schon eingegangen, daran hat sich bis heute nichts geändert. Allerdings hat die Türkei im Vergleich zu dem Osmanischen Reich bedeutend an politischem und wirtschaftlichem Gewicht gewonnen, diese Tatsache verändert auch ihr Auftreten gegenüber den europäischen Partnern.

Die Ende des 19. Jahrhunderts begründete, zukunftsweisende deutsch-osmanische Freundschaft war der Ausgangspunkt für viele deutsch-türkische Berührungen im 20. Jahrhundert: Ich erinnere nur daran, dass viele Juden nach 1933 in der Türkei Aufnahme fanden, als sie in Deutschland nicht mehr leben durften. Dazu gehörte auch Hans Poelzig, der schon 1916 einen Entwurf für das "Haus der Freundschaft" in Istanbul lieferte.

MM: Herr Weiberg, wir danken für das Interview.

 

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