Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Hülya Dogan
 

Muslim-Markt interviewt
Hülya Dogan, Stadtverordnete der Stadt Bonn für BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit)
13.6.2010

Hülya Dogan (1975) ist deutsche Muslima mit türkischen Vorfahren. Geboren und aufgewachsen ist sie in Bonn. Nach dem Abitur 1996 und einem "freiwilligem sozialen Jahr“ (1997) vollzog sie von 1997-2000 eine Ausbildung zur Päd-Audiologischen Assistentin (Spezialistin für Hörprüfungen, speziell für Kinder). Danach absolvierte sie das Grundstudium der Humanmedizin an der Universität Bonn. Im Anschluss arbeitete sie für verschiedene Hörakustikunternehmen u.a. in leitender Position und in Hals-Nasen-Ohren-Praxen. Seit 2010 ist sie als selbstständige Unternehmerin im Bereich Audiologie, Politik und Integration tätig.

Seit 2009 wird sie in den Medien als "erste Kopftuchträgerin in einem deutschen Parlament" betitelt, weil sie auf einen Sitz im Bonner Stadtrat für die Partei BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit) gewählt wurde und somit Stadtverordnete der Stadt Bonn ist. Sie ist Vorstandsmitglied des BIG Kreisverbandes Bonn. Zudem ist sie erste Vorsitzende der "FIBEr e.V." (Fraueninitiative für Bildung und Erziehung e.V.), islamische Sprecherin im Arbeitskreis "Muchri" (Muslime und Christen) im Bonner Norden und Mitglied des "Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V."

Hülya Dogan (gesprochen "Doan") ist verheiratet und lebt in Bonn.

MM: Sehr geehrter Frau Dogan, wahrscheinlich müssen Sie sehr oft die Frage beantworten, warum sie die islamische Kleidung tragen. Was antworten Sie dann?

Dogan: Ich bin eine praktizierende Muslima und will als solche auch wahrgenommen werden.

MM: Wie können Sie Bürgern, die angesichts einer äußerst missverständlichen allgemeinen Mediendarstellung über den Islam desinformiert sind, erklären, dass sie auch mit Ihrem Kopftuch Deutsche sind und in einem deutschen Stadtrat von deutschen Bürgern gewählt wurden?

Dogan: Meine religiöse Überzeugung hat nichts mit meiner Staatsangehörigkeit zu tun. Als deutsche Muslima folge ich dem Grundgesetz dieses Landes und kann somit genauso gut Bonner Bürger in einem Parlament vertreten wie eine christliche Politikerin.

MM: Von dem "Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit" hat man bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen überregional wenig gehört. Welche Ziele verfolgen sie?

Dogan: Wir wollen alle Menschen, besonders Minderheiten, die sich in den bestehenden Parteien nicht gut aufgehoben fühlen oder sich nicht verstanden fühlen, vertreten. Mit Sorge stellen wir die Zunahme einer Politik der Ausgrenzung fest. Die künstliche Schaffung von Feindbildern, von Konflikten und von scheinbaren Widersprüchen wird planvoll genutzt, um Politik mittels Schuldzuweisung zu führen. Der einzige Weg aus der sich so abzeichnenden, in Deutschland aufgrund der geschichtlichen Vorgaben sehr bewussten Gefahr, ist die offene, differenzierte, adäquate Auseinandersetzung mit den bestehenden Sachproblemen. Diese müssen hier und jetzt mit den zur Verfügung stehenden Mitteln gelöst werden. BIG versteht sich als Brückenbauer zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen und setzt sich für respektvollen Dialog auf Augenhöhe ein. Die Zulassung von doppelter Staatsbürgerschaft und kommunales Wahlrecht für Ausländer sind Grundforderungen der BIG.

MM: Was möchten Sie anders machen, als die etablierten Parteien?

Dogan: Wir möchten alle Bürger dieses Landes gleichwertig behandelt sehen und sie vertreten. Ich denke, dass wir durch sehr viel eigener Lebenserfahrung mit den meisten Problemen dieser Menschen vertraut sind und sensibler und intensiver diese Themen behandeln können.

MM: Bei Themen, die mit der religiösen Identität von Muslimen zusammenhängen, wie dem gemischten Schwimmunterricht in Schulen wird Ihnen vorgeworfen desintegrativ zu wirken. Was antworten Sie darauf?

Dogan: Wie man nicht schwer aus unserem Parteiprogramm erkennen kann, gilt unser Interesse nicht nur rein "muslimischen Themen", sondern gesamtgesellschaftlichen Problematiken. Dabei möchte die BIG nicht die sogenannte "Parallelgesellschaft" fördern, sondern das gegenseitige Verständnis der verschiedenen Kulturen und Religionen voran bringen. Wir wollen in Ihrem genannten Beispiel durch unser Handeln einen Kompromiss zwischen den Eltern und den Schulen schaffen, damit die Kinder trotzdem das Schwimmen erlernen können. Im Vordergrund soll damit das Schwimmen erlernen von Kindern sein, unter Rücksichtnahme und Verständnis der religiösen Überzeugung der Eltern.

MM: Eine ganze Reihe von Problemen bei Bürgern mit Migrationshintergrund ist aber zweifelsohne auch auf eine Art "Macho-Erziehung" zurückzuführen, bei dem einige Jungs aus südlichen Ländern (unabhängig ob Muslim oder nicht) zuweilen auch ein respektloses Verhalten an den Tag legen (auch gegenüber Lehrerinnen). Auch wenn das genannte Beispiel nichts mit dem Islam zu tun hat, so liegen die Ursachen hierfür liegen oft tief in der klassischen Familienstruktur von Personen die bedauerlicherweise eben auch oft aus muslimischen Ländern kommen. Kann man solche Missstände mit politischen Mitteln zumindest vermindern und welche praktische Herangehensweise ist dabei ratsam?

Dogan: Aufklärungsarbeit und öffentliche Veranstaltungen. Wir sollten mehr über dieses Thema sprechen und unsere Gesellschaft aufklären. Wir hatten in unserem Arbeitskreis "Muchri" (Muslime und Christen) am 24.11.2009 mit dem Tagesthema "Religion als Vorwand zur Gewalt" bei Jugendlichen nach genau diesem Grund gesucht. Dafür haben wir Polizei, Schule, Jugendleiter, Stadt Bonn (Stabstelle Integration) eingeladen. An diesem Abend haben viele Lehrer, Schüler und Bonner Bürger teilgenommen. Es war sowohl von den Vortragenden als auch von den Gästen einheitlich erklärt worden, dass die Religion kein Grund zur Gewalt bei Jugendlichen ist. Das sogar im Gegenteil alle, von zu Hause aus gefestigten Jugendlichen, keine Gewaltbereitschaft zeigen. Wissen stärkt die Jugendlichen. Deshalb sollte man diese und die Kinder besser informieren und "Dialog bereiter" erziehen. Also, auch Wissen über die anderen Religionen vermitteln. Im Klartext "Respekt und Toleranz" zueinander fördern.

MM: Ein weiteres oft genanntes Problembeispiel ist die Zwangsehe. Auch wenn das deutsche Gesetz es verbietet und der Islam es sogar als eine Form von Vergewaltigung noch strenger ächtet, kommt sie nun einmal in Familien mit Migrationshintergrund häufiger vor, als in anderen Familien. Haben Sie bessere Konzepte zur Lösung des Problems als die Frauenhäuser, die überproportional von Migrantinnen aufgesucht werden?

Dogan: Zur alleinigen Frauenaufklärung und Stärkung "Nein" zu sagen. Es muss immer mindestens zwei Menschen geben, damit es zu einer Zwangsehe kommt. Wir müssen die Frauen zum einen Unterstützen, aber auch Mütter davon überzeugen ihre Kinder gleich zu erziehen. Mädchen müssen schon in der Kindheit die gleichen Rechte haben, damit sie mit diesem Bewusstsein groß werden. Und Jungen sollten auch ihre Grenzen kennen lernen und auch genauso viel Verantwortung tragen. Dabei ist einer der zentralen Punkte den Respekt vor der Frau schon im Kindesalter zu erlernen.

MM: Eine Partei, die zunehmend das Interesse der Muslime wie auch gerechtigkeitsliebender Nichtmuslime auf sich lenkt wird neben den akuten innenpolitischen Themen eines Tags auch hinsichtlich der Außenpolitik befragt werden. Und hier ist es kein Geheimnis, dass Muslime in Bezug auf Palästina, in Bezug auf Afghanistan und einige andere Konfliktfelder alternative Ansichten vertreten. Wie wird damit in Ihrer Partei umgegangen?

Dogan: Es werden Pressemitteilungen erstellt, die genauso ungerechtfertigte Handlungen nicht gut finden, wie wir dies auch im gleichen Maße zu anderen Themen handhaben. Das aktuelle Thema ist eine nicht vertretbare Handlung, die nicht nur von Muslimen so gesehen wird. Es hat nicht im Entferntesten etwas mit moralisch-ethischen Handlungen zu tun.

MM: Zurück zu Ihnen: Welche Schwerpunkte vertreten Sie im Stadtrat und wie kommt es, dass sie einmal mit der einen und ein anderes Mal mit der anderen Partei stimmen, wo doch das Land sich daran gewähnt hat, dass Regierende ihre eigenen Vorschläge immer unverbesserbar gut finden und die Opposition die Regierungsvorschläge immer schlecht findet?

Dogan: Unsere kommunalpolitischen Schwerpunkte liegen zurzeit hauptsächlich in der Integrations-, Bildungs- und Kulturpolitik. Daneben sind wir als Partei in acht Ausschüssen teilweise selbst als Stadtverordnete und teilweise durch sachkundige Bürger erfolgreich vertreten: Schule; Wirtschaft und Arbeitsförderung; Planung, Verkehr und Denkmalschutz; Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Lokale Agenda; Soziales, Migration, Gesundheit und Wohnen; Internationales und Wissenschaft; Kultur und Umwelt und Verbraucherschutz.

Zurzeit befinden wir uns noch in der Zuhör-, Lern- und Eingewöhnungsphase. Denn viele Themen, die gegenwärtig im Stadtrat behandelt werden, haben zum Teil eine lange Vorgeschichte, in die wir uns erst mal hineinarbeiten müssen. Uns fehlt hin und wieder das Vorwissen über bestimmte Themen oder Vorgänge. Die anderen Fraktionen haben diese Themen meistens schon mehrfach behandelt und ausdiskutiert, was nicht heißt, das sie immer eine korrekte oder gerechte politische Position haben. Die etablierten Fraktionen haben uns schon zu Beginn unserer Amtszeit dargelegt, dass man mindestens zwei Jahre benötigt, um die Strukturen und Themen zu erfassen und über alles mitreden zu können. Dafür dass wir nur zu zweit im Stadtrat sitzen, haben wir uns schon sehr gut in die Thematiken eingearbeitet und schaffen parallel auch immer mehr Strukturen innerhalb der Partei zu bilden. Ich denke, dass wir mit der Zeit klarere Positionen zu vielen Themen beziehen und auch Stellung nehmen können.

Unser Verständnis von politischer Mitwirkung als Partei ist nicht die einer sturen Oppositionspolitik, sondern uns geht es um nachhaltige zukunftsweisende Lösungsansätze, die den Bürgern gleichermaßen zugute kommen. Diese sollten aus unserer Sicht glaubwürdig und pragmatisch sein und nicht unbedingt ideologisch: also weder rechts noch links oder grün usw. Da wir grundsätzlich eine offene Grundhaltung haben, unterstützen wir durchaus auch realpolitische Positionen der etablierten Oppositionsparteien. Wichtig ist uns dabei, dass wir unser Handeln ethisch verantworten können.

MM: Nehmen wir einmal an, dass ein Leser dieses Interviews Interesse an Ihrer Partei gewinnt aber feststellen muss, dass in seinem Bundesland oder in seiner Umgebung noch keine Vertretung vorhanden ist. An wen soll er sich wenden?

Dogan: An Herrn Haluk Yildiz. Er ist unser Parteivorsitzender und er ist schon dabei in vielen weiteren Städten mit solchen Interessierten Kreisverbände zu gründen.

MM: Frau Dogan, wir danken für das Interview.

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