Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Mayer-Tasch
 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Peter Cornelius Mayer-Tasch - Herausgeber des Buches "Welt ohne Wasser"
30.6.2011

Peter Cornelius Mayer-Tasch (Jahrgang 1938) ist emeritierter Professor an der LMU München und Leiter des Lehrbereichs "Politische Theorie" sowie Gründer und (Mit-)Leiter der Forschungsstelle für Politische Ökologie an der Hochschule für Politik München. In der Zeit von 2002-2010 war er Rektor der Hochschule für Politik.

Er studierte Rechts- und Politikwissenschaft sowie Geschichte, (Kunst-)geschichte und Philosophie an den Universitäten Tübingen, München, Heidelberg, Oxford, Straßburg und Bologna. Nach der Promotion (1964) und Habilitation (1971) in Öffentlichem Recht, Rechtsphilosophie und Politikwissenschaft trat er die Professur für Politikwissenschaft und Rechtstheorie am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München an und war zwischen 1972 und 2003 Mitglied des Direktoriums des Instituts, zumeist als Geschäftsführender Direktor. 1984 war er Gründer der Forschungsstelle für Politische Ökologie, die er daraufhin auch leitete. Von 1993 bis 2003 war er Leiter der Rechtsausbildung für Sozialwissenschaftler an der Universität München. Zwischen 1998 und 2002 war er Prorektor und von 2002 bis 2010 Rektor der Hochschule für Politik München. Er ist Mitglied des Kuratoriums des Öko-Instituts (Freiburg/Darmstadt/Berlin) und des Kuratoriums Mehr Demokratie e.V..

Heute arbeitet er immer noch als Referent, Publizist und Berater insbesondere in Bereichen in denen er sich ökologisch engagieren kann. Er veröffentlichte mehr als 175 Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften und ca. 50 Monographien und Editionen. Zu seinem ökologischen Engagement zählen auch seine drei letzten Buchveröffentlichungen (alle im Campus-Verlag) "Meer ohne Fische" (2007) "Welt ohne Wasser" (2008) und "Der Hunger der Welt" (2011). Ein Hauptwerk ist: "Mitte und Maß – Leitbild des Humanismus von den Ursprüngen bis zur Gegenwart" (Nomos-Verlag).

Prof. Mayer-Tasch lebt im Großraum München.

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Mayer-Tasch, wie kommt ein Professor für Politikwissenschaft und Rechtstheorie ausgerechnet dazu, sich mit Wasser zu beschäftigen?

Prof. Mayer-Tasch: Persönliche Erfahrungen und Einsichten, aber auch rechtswissenschaftliche Erkenntnisse haben mich schon während meiner Assistenzzeit an der Juristischen Fakultät der Universität Mainz auf die schwerwiegenden Defizite des damaligen deutschen (im internationalen Vergleich aber auf vielen Gebieten dennoch vorbildlichen) Umweltrechtes verwiesen. Als frisch gebackener Privatdozent habe ich deshalb auch im Jahr 1971 meine erste selbstständige Lehrveranstaltung Problemen des Umweltrechts und der Umweltpolitik gewidmet – eine Thematik, der ich dann auch nach meiner Berufung an die Universität München noch im selben Jahr treu blieb. Die Problematik der Wasserverschmutzung und –vergiftung durch unseren "way of life" unter den Bedingungen der technisch-ökonomischen Zivilisation gehörte von Anfang an zu den Problemen, auf die ich in diesem Zusammenhang mein Augenmerk richtete. Und dies umso mehr, als mir in immer stärkerem Maße im Gewissen brannte, dass der Fluss, an dem die Papierfabrik meines Vaters lag, nach der Fabrik oft gelb war – ein Phänomen, das ich als Kind zwar aufnahm, aber erst sehr viel später einordnen konnte.

MM: Das Trinkwasser aus vielen deutschen Leitungen hat eine bessere Qualität als das Mineralwasser, das wir kaufen können, und der Regen wird auch nicht weniger. Warum sollte sich der Bürger in Deutschland um Wasser sorgen?

Prof. Mayer-Tasch: Zum Ersten wissen wir nicht, was der Klimawandel noch bewirken wird. Auffällig war z.B. der trockene April und Mai 2011. Zudem gibt es auch in Deutschland große Unterschiede im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Wasservorräte. Norddeutschland (und insbesondere die Lüneburger Heide) sind weit weniger gesegnet als etwa Oberbayern und das Allgäu. Zum Zweiten geht es - wie schon betont – um die Wasserqualität, die bei verschwenderischem Umgang mit unseren Vorräten immer stärker gefährdet wird. Und zum Dritten sind wir "nicht allein in der Welt". Unser Beispiel wirkt im Guten wie im Schlechten in den globalen Wahrnehmungsraum hinein. Wenn wir mit Wasser achtsam umgehen, wird dies ein fortwirkendes gutes Beispiel für andere Länder sein.

Dasselbe gilt auch für den Atomausstieg. Wenn wir aussteigen, werden über kurz oder lang andere Länder folgen – auch wenn sie sich im Augenblick noch uneinsichtig zeigen. Dafür sprechen zahlreiche Erfahrungen gerade im sozioökologischen Bereich.

MM: Sie plädieren dafür, den "wahren" Wasserverbrauch für die Erstellung eines Produktes zu berücksichtigen, um die ökologischen Auswirkungen des Produktes besser beurteilen zu können. Bei solch einer Betrachtung wird für ein kg Rindfleisch über 15.000 Liter Wasser verbraucht, wohingegen ein kg. Apfel "nur" ca. 70 Liter benötigt. Welche Schlussfolgerungen sind aus solchen Betrachtungen zu ziehen?

Prof. Mayer-Tasch: Die Konsequenzen unsers Tuns und Lassens mitzubedenken und das eigene Verhalten daran zu orientieren adelt jeden Menschen – auch den sogenannten "Verbraucher". Der Mensch lebt nun einmal "nicht vom Brot allein". Ich selbst bin z.B. Vegetarier geworden, weil ich die Implikationen der "Fleischerzeugung" unter den heutigen zivilisatorischen Bedingungen für unverantwortlich halte. Bei einem Wechsel zu vegetarischer Ernährung könnten wir unter anderem das Problem des Hunger (zumindest theoretisch) als weltweit lösbar betrachten.

MM: Ihr jüngstes Buch stellt die Frage nach dem Hunger in der Welt. Wie kann man das Bewusstsein über Zehntausende von Menschen die täglich an Hunger sterben, in einem Land vermitteln, in dem überschüssige Lebensmittel in nicht geringem Maß vernichtet werden?

Prof. Mayer-Tasch: Die Frage nach den Möglichkeiten der Vermittlung ist sehr schwer zu beantworten. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Menschen durch Predigten – und gepredigt wird von den ökologisch gesinnten Autoren schon seit langem - nur selten bekehren lassen. Was wirkt, sind Schockerlebnisse à la Fukushima. Im Übrigen kann man nur hoffen, dass sich bei einer weiteren Verschärfung der Umweltprobleme eine wachsende Zahl von Menschen auf einen zunächst inneren Entwicklungsweg machen, der dann über kurz oder lang auch im Öffentlichen Raum zu einem Umsteuern führt.

MM: Einerseits führen Agrar-Subventionen dazu, dass z.B. Rindfleisch im Übermaß produziert wird - mit dem daran gekoppelten Wasserverbrauch, aber andererseits ist Deutschland durch die garantierte Selbstversorgung ein Stück politisch unabhängiger als z.B. Ägypten, das ohne US-Weizenlieferungen verhungern müsste. Wie lässt sich dieser Interessenkonflikt lösen?

Prof. Mayer-Tasch: Autarkie – dies betonte schon der Altmeister der Politikwissenschaft Aristoteles – ist ein hohes Gut. Ein vergleichsweise hohes Maß an Selbstversorgung lässt sich aber auch durch eine ausgeglichenere als die gegenwärtige Art der Agrarsubventionierung erreichen. Bevorzugt werden die Großbetriebe – und die produzieren auf eine Art und Weise, die wir uns nicht wünschen können. Bevorzugt werden sie, weil sie in ihrer Lobbyarbeit erfolgreich sind. Hier bedürfte es eines höheren Grads an Einsicht und Standhaftigkeit von Seiten der Agrarpolitiker. Immerhin dehnt sich der Sektor der ökologischen Landwirtschaft immer weiter aus – sowohl was die Nachfrage als auch was das Angebot anbetrifft. Hier besteht sowohl Nachholbedarf als auch Hoffnung. Den ökologisch wirtschaftenden Kleinerzeugern müsste der Verbraucher allerdings auch den "gerechten Preis" zu zahlen bereit sein, sofern ihm dies finanziell möglich ist. Dann bräuchte uns um die Selbstversorgungskapazität Deutschlands nicht bange zu sein. Butterberge, Rindfleischhügel und Milchseen aber, die dann doch nur an die "Dritte Welt" verhökert werden und die dortigen Märkte verwirren, brauchen wir nicht.

Alle ökologischen Probleme und alle Nahrungssicherungsprobleme werden wir auch durch eine erleuchtetere als die gegenwärtige Umwelt- und Wirtschaftspolitik nicht völlig in den Griff bekommen, weil nicht alle Menschen in gleichem Maße einsichts- und entwicklungsfähig sind. Wichtig ist aber, dass es Visionen gibt, denen wir entgegenstreben können.

MM: Visionen setzten aber voraus, dass sie zumindest theoretisch realisierbar sein könnten. Wie sollen aber die Ideale von Wassereinsparung und ökologischem Landbau umgesetzt werden, wenn das Diktat des Wachstumszwangs auch in der kreditverschuldeten Landwirtschaft besteht. Oder anders gefragt: Wie würde eine Bundesrepublik Deutschland aussehen, wenn nicht das vorherrschende Wirtschaftsziel quantitatives Wachstum ist.

Prof. Mayer-Tasch: Es ist nicht quantitatives Wachstum allein, das unsere Gesellschaft beherrscht. Begriffe wie Solidarität, Fürsorglichkeit, Anteilnahme, Liebe etc. stehen für eine ethische Gegenwelt, die – wenn vielleicht auch nicht mainstream – durchaus in unserer Gesellschaft selbst außerhalb der Familie noch gelebt wird. Ich verkenne nicht, dass die menschliche Natur – zum Teil von einem „desire for power after power that only ceaseth in death“ (Thomas Hobbes, Leviathan, 1651) beherrscht wird – von einem Machtverlangen, das sich nicht zuletzt ökonomisch als quantitatives Wachstumsverlangen äußert. Wie die Erfahrung des Lebens zeigt, mündet lediglich quantitativ verstandenes, ungehemmtes Wachstum im Zustand der Verkrebsung. Im Gesundheitsbereich ist dies offenkundig, aber auch für den sozioökonomischen Bereich gilt dasselbe. Schon in der Philosophie der griechischen Klassik galt daher die pleonexia, das ewige Mehr-haben-wollen als letztlich zum Scheitern verurteiltes menschliches Hauptlaster.

Eine wachsende Zahl von Menschen in unserer westlichen Zivilisation ist sich dessen aber bewusst und sucht nach Auswegen. Stichworte wie Regionalismus, Lokalismus, Tauschwirtschaft (z.B. im Netzwerk "Lets"), Selbstversorgung, Selbstgenügsamkeit stehen für diese Tendenz. Noch ist sie nicht allgegenwärtig und geschichtsmächtig. Wie rasch die Szenerie sich verändern kann durch Unvorhergesehenes hat uns Fukushima und der nun doch erfolgende Atomausstieg (den Menschen wie ich dokumentierbar seit Anfang der 70-er Jahre gefordert haben) gezeigt. Politische Katastrophen, Naturkatastrophen oder gar kosmische Katastrophen haben das Gesicht der Erde immer wieder verändert. Für Geschichtsbewusste sind die anführbaren Beispiele Legion. Sollte unsere Gesellschaft durch Katastrophen oder durch parapfingstliche Paradigmenwechsel ihrer Eliten das quantitative Wachstumsziel verabschieden, wird Deutschland auch seine wirtschaftliche und politische (Mittel-) Machtrolle herabstufen müssen und sich statt auf materielle Ziele auf ein (nicht mehr in erster Linie natur- und technikwissenschaftlich definiertes) intellektuelles und spirituelles Wachstum konzentrieren müssen.

MM: Das gesamte westliche Wirtschaftssystem - nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland - setzt zunehmend auf Privatisierung, auch weil die immens steigenden Staatsverschuldungen ansonsten noch astronomischere Ausmaße einnehmen würde. Wie kann aber der Widerspruch aufgelöst werden, dass eine privatisierte Energie- und Wasserwirtschaft auf Verbrauchssteigerung hinarbeitet, während es im Volksinteresse wäre, dass weniger verbraucht wird?

Prof. Mayer-Tasch: Die Privatisierungstendenz aus den von Ihnen genannten Gründen ist unverkennbar. Und unverkennbar ist auch die allgegenwärtige Anstachelung der (Verbrauchs-)Gier. Auch diese Maschinerie wird aber machtlos, wo das sokratische „Wie viele Dinge gibt es doch, derer ich nicht bedarf“ Raum gewinnt. Und meines Erachtens wird es Raum gewinnen, weil der Grenznutzen des Habens und des Haben-Wollens kontinuierlich sinkt. Und indem er sinkt, werden sich auch die ökonomischen Strukturen verändern und zum Teil zurückentwickeln, die heute noch so viele Menschen auf der Suche nach Arbeit und Brot ins Land ziehen. Im selben Maße, in dem sich aber die Wirtschaft des Westens verändert, wird auch das Interesse der westlichen Politik an Eingriffen in die Märkte der "Armen Welt" sich verändern, was in mancherlei Hinsicht deren Selbsthilfekapazität nützen kann. Denn am Tropf der "Reichen Welt" kann sie auf Dauer nicht überleben, sondern nur durch konsequente Umstrukturierungen, die gerade nicht dem Beispiel unserer heutigen westlichen Welt folgen.

MM: Wir haben in unserer Interviewreihe oft die Erfahrung gemacht, dass emeritierte Wissenschaftler - es muss nicht für Sie gelten - manche Dinge viel klarer und deutlicher ansprechen können als "jüngere". Wie frei ist die Hochschulwissenschaft, um die von Ihnen angemachten Visionen und Ideale auch den Studenten zu vermitteln und in der Forschung tiefer gehend zu berücksichtigen?

Prof. Mayer-Tasch: Diese Freiheit habe ich mir in den letzten Jahrzehnten stets genommen, wie anhand meiner Bücher und sonstiger Publikationen unschwer nachvollziehbar ist. Allerdings wird man nicht unbedingt als Weiser geboren. Man braucht eine stabile Persönlichkeitsstruktur wie auch viele Erfahrungen und Erkenntnisse, um einen vom Politik-, Wirtschafts- und Wissenschaftsbetrieb unabhängigen Standpunkt zu gewinnen. Aber auch institutionelle Unabhängigkeit ist hilfreich. Als Professor hat man es da leichter denn als Assistent oder noch nicht berufener Dozent. Die deutsche Universität gibt ihren Mitgliedern einen vergleichsweise hohen Grad an Unabhängigkeit. Dies gilt vor allem für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Weniger unabhängig sind freilich diejenigen Natur- und Technikwissenschaftler, die bei ihren Forschungen von Drittmitteln aus der Wirtschaft abhängig sind.

MM: Welche Projekte planen Sie noch in Zukunft?

Prof. Mayer-Tasch: Gerade habe ich das Manuskript eines kleinen Buches zum Thema "Raum und Grenze" sowie auch einen Text über "Die Macht der Schönheit" abgeschlossen. Im Druck ist die Neuauflage meines Buchs über den französischen Philosophen Jean Bodin (Franz Steiner-Verlag). In Planung befinden sich zwei historische Bücher, ein Gedichtband und eine Autobiographie.

Aus dem Bereich der Politischen Ökologie werde ich ebenfalls noch ein Weltthema zur Sprache bringen.

Ein Projekt aber, das mir besonders am Herzen liegt, ist die Lancierung des weiterbildenden (in Deutschland und Europa einzigartigen) Masterstudiengangs "Ethik, Ökologie, Ästhetik im Öffentlichen Raum", den ich in meiner Zeit als Rektor der Hochschule für Politik programmatisch entwickelt habe und um dessen Lancierung ich mich nunmehr im Auftrag des Senats der Hochschule bemühe. . Informationen hierüber finden Sie auf der Website der Hochschule unter http://www.hochschule-fuer-politik.mhn.de/eoa-master.

MM: Herr Prof. Mayer-Tasch, wir danken für das Interview.

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