Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Tautz
 

Muslim-Markt interviewt
Prof. Dr. Jürgen Tautz - Gründungsvorsitzender des Bienenforschung Würzburg e.V.
30.4.2011

Prof. Jürgen Tautz (Jahrgang 1949) hat seine Grundschule und Gymnasium in seiner Geburtsstadt Heppenheim absolviert. Er studierte 1968 bis 1973 an der Technischen Universität Darmstadt Biologie, Geographie und Physik, das letzte Jahr mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Mit einem Dissertationsstipendium, wiederum von der Studienstiftung des Deutschen Volkes (1974 -1977), schloss er an der Universität Konstanz sein Doktorarbeit ab. Die Dissertation wurde 1978 mit dem Byk-Preis der Herbert Quandt-Stiftung für herausragende Dissertationsleistung ausgezeichnet. Anschließend war er bis 1981 an der Universität Konstanz wissenschaftlicher Angestellter. 1979 war er mit einem DFG-Stipendium an der Australian National University in Canberra und 1981-1982 an der Stanford University (USA). Ab 1983 bis 1987 war er wiederum wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Konstanz. Währenddessen erfolgte 1986 die Habilitation in Zoologie und 1988 erhielt er ein Heisenberg-Stipendium. Seit 1990 ist er Professor am Biozentrum der Universität Würzburg wo er unter anderem die BEEgroup leitet. Es ist Begründer des Projektes Honey Bee Online Studies (HOBOS). Seit 2000 ist er Vertrauensdozent des Verbandes Deutscher Naturforscher und Ärzte an der Universität Würzburg und seit 2004 Gründungsvorsitzender des Bienenforschung Würzburg e.V.. Seine Zahllosen Veröffentlichungen sind in so renommierten Verlagen, wie dem Spektrum Akademischer Verlag erschienen. In die Liste seiner Auszeichnungen gehören EMBO (als einer der besten Wissenschaftskommunikatoren Europas, 2005, 2007 und 2008), Accademici Onorari der Accademia Nazionale Italiana di Entomologia (2007). In 2008 hat ihn die Zeitschrift Cicero in einem Ranking zu Deutschlands wichtigsten Vordenkern unter den 40 prominentesten Naturwissenschaftlern gezählt.

Prof. Tautz gilt er als einer der ausgewiesenen Bienenexperten Deutschlands. Es ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt im Großraum Würzburg.

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Tautz. In ihrer Masterarbeit und Doktorarbeit beschäftigen Sie sich mit Raupen. Wie kamen Sie zu den Bienen?

Prof. Tautz: Bereits sehr spät in meiner Karriere als Biologe hat mit ein älterer Freund und Kollege, der weltbekannte zwischenzeitlich leider verstorbene Bienenforscher Prof. Martin Lindauer, ein Bienenvolk geschenkt mit den Worten, es sei ein großer Fehler für einen Biologen, sich nicht mit Bienen zu beschäftigen. Ich habe dieses Geschenk und seine Folgen nie bereut.

MM: Im Heiligen Qur'an ist eine ganze Sure (die 16.) den Bienen gewidmet, in der es in den Versen 68 und 69 sinngemäß heißt: "Und dein Herr hat der Biene eingegeben: „Nimm dir in den Bergen Häuser, in den Bäumen und in dem, was sie an Spalieren errichten. Hierauf iss von allen Früchten, ziehe auf den Wegen deines Herrn dahin, die (dir) geebnet sind.“ Aus ihren Leibern kommt ein Getränk von unterschiedlichen Farben, in dem Heilung für die Menschen ist. Darin ist wahrlich ein Zeichen für Leute, die nachdenken." Was denkt der Wissenschaftler darüber nach?

Prof. Tautz: Honigbienen faszinieren die Menschen seit jeher. Honig muss der Menschheit bereits zu einem sehr frühen Stadium unserer Entwicklung wie ein außerirdisches Geschenk vorgekommen sein, zu einer Zeit, als das Feuer noch nicht beherrscht und ausschließlich rohe Kost verzehrt wurde. Später kamen dann erste Beobachtungen zur Lebensweise der Bienen hinzu, aus denen dann rasch idealisierende Vorbildfunktionen abgeleitet wurden. In jeder der großen Weltreligionen spielen Honigbienen und ihre Lebensweise als Modell für perfekte Organisation, Fleiß und Selbstlosigkeit eine Rolle.

MM: Sie haben jüngst ein globales Bildungsprojekt Honey Bee Online Studies (HOBOS) gestartet. Was ist darunter zu verstehen?

Prof. Tautz: Das in Anlage und Inhalt bisher einmalige Bildungsprojekt HOBOS (Honeybee online studies – www.hobos-online.de) nutzt den hochkomplexen Superorganismus Bienenkolonie als Lehr- und Lernplattform, die dem Nutzer eine neuartige Form des Lernens ermöglicht. Im Zentrum steht ein lebendes Bienenvolk, in dem sehr viele Aspekte der höchst fesselnden Lebensweise erkundet werden können. Da international übergreifend das Bienenvolk in allen Schullehrplänen Berücksichtigung findet können hier online komplexe Zusammenhänge im Naturgefüge erfahren und durchdrungen werden. Mit dem im Sommer 2009 begonnen Projekt wollen wir den Schülerinnen und Schülern weltweit einen Zugang zum Leben der Biene verschaffen, wie ihn ansonsten nur gut ausgestattete Forschungsinstitute haben. Für das Projekt werden die Bienen nummeriert und mit einem Mikro-Chip ausgestattet. Über webcams und verschiedenste andere Sensoren, die im Stock installiert sind, können die Jugendlichen dann vom Schulcomputer aus die Bienenvölker in einer Genauigkeit und Tiefe studieren, wie es auch durch eine direkte Beobachtung nicht möglich wäre. Zum Beispiel könnten sie im einfachsten Ansatz verfolgen, wann die Sonne aufgeht und wann dann die ersten Bienen fliegen. Kurz: HOBOS bietet die Möglichkeit zur völlig freien Beschäftigung mit dem Leben der Honigbiene und dem Erforschen ihrer Biologie.

MM: Wenn Sie HOBOS auch als Brücke zwischen den Kulturen verstehen, wie kann das praktisch umgesetzt werden?

Prof. Tautz: Die Lernplattform HOBOS erlaubt aufgrund seiner enormen Einsatzmöglichkeiten Schulprojekte, die von Schülergruppen auch räumlich weit auseinander liegenden Schulen gemeinsam bearbeitet werden können. Die Honigbiene genießt bei allen Menschen eine hohe Sympathie und ist mit ihrer überragenden Schlüsselrolle im Naturhaushalt sowohl für die Erhaltung der Pflanzenwelt als auch die Ernaehrung der Menschheit durch die Landwirtschaft extrem wichtig. Dies macht sie zu einem idealen Objekt für Schülerprojekte in allen Kulturkreisen. Am 1.Juli 2011 starten wir eine erste interkulturelle Brücke, die als Vorbild sicherlich rasch Nachahmer finden wird, mit jeweils einer Schule in Amman Jordanien und einer Schule in Würzburg Deutschland. Junge Menschen, die gemeinsam die Zukunft unserer Erde gestalten müssen, lernen so schon sehr früh, dass globale Probleme über alle Kulturen, Religionen und Hautfarben belasten und nur gemeinsam gelöst werden können. So ist Teamwork bei HOBOS ein Übungsfeld, auf dem erfolgreich erprobt werden kann, welchen Erfolg ein gemeinsames Anpacken von Fragen und Problemen haben kann. Eine hohe symbolische Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Schirmperson für das in Europa entwickelte HOBOS-Projekt ein Mitglied des jordanischen Königshauses ist.

MM: Für den nicht biologisch bewanderten Leser ist es zuweilen schwer nachzuvollziehen, was ein Bienenforscher eigentlich konkret erforscht. Gibt es denn immer noch Geheimnisse der Biene?

Prof. Tautz: Der Altmeister die Honigbienenforschung, der Nobelpreisträger Karl von Frisch, hat die Bienen als einen nicht zu erschöpfenden Zauberbrunnen bezeichnet, der unerschöpflich viele Fragen und endloses Staunen hervorruft. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die vielen Einzelheiten, die wir bis heute über das Leben der Honigbienen zusammengetragen haben, zeigen durch das noch immer sehr lückenhafte Bild im Grunde eher unsere Unkenntnis, als unser Verständnis über den sogenannten Superorganismus Bienenkolonie.

MM: Einmal mystisch nachgefragt; kann es sein dass jener "Superorganismus" eigentlich nichts anderes ist, als die Sehnsucht des Menschen in weltweiter Kooperation "heilendes" zu bewirken? Gibt es überhaupt Platz für Spiritualität und Mystik in dieser Art von Wissenschaft?

Prof. Tautz: Die exakten Naturwissenschaften bedienen sich konzeptioneller Ansätze, die in ihrem Rahmen zu Aussagen führen, die mit wiederum den gleichen Ansätze immer aufs neue auf den Prüfstand gestellt und entweder bestätigt, oder abgewandelt oder verworfen werden. Spiritualität und Mystik sind Bereiche menschlicher Erfahrung, die zu eigenen Vorstellungen und Aussagen führen und von denen es durchaus Brücken in die exakten Wissenschaften geben kann. Ich persönlich bin überzeugt, dass das Zustandekommen nie vorher gedachter Ideen hier durchaus ihre Wurzeln haben können. Ist die Idee dann einmal formuliert und (be)greifbar gemacht, kann das Handwerkszeug der Wissenschaft übernehmen und die Hausaufgaben angehen.

Bienen sind jeher auch in der Mystik stark vertreten. Der preisgekrönte Kinofilm BAL (Honig) schafft dem Betrachter eine Atmosphäre, in der gerade im Zusammenhang mit Honigbienen Mystik und kühle Sachlichkeit beide ihren Platz finden und so zu einer Nachdenklichkeit führen.

MM: Wenn der biologisch eher nicht so interessierte Bürger jemals von Bienen in den Medien etwas erfährt, dann ist das mit dem Stichwort "Bienensterben" verbunden, und das - so unsere Erinnerung - schon seit Jahrzehnten. Was ist wissenschaftlich seriös an derartigen Meldungen?

Prof. Tautz: Bienen und Blütenpflanzen sind aufgrund ihrer gemeinsamen Entstehungsgeschichte untrennbar miteinander verbunden. Würden die Bienen ausfallen, hätte dies dramatische Folgen für die sogenannte Biodiversität (Artenvielfalt) und auf die Ernährung der Menschheit, da nahezu 30% unserer Lebensmittel durch die Bestäubungsleistung der Honigbienen entstehen. Der Mensch hat die Honigbiene zu seinem Haustier gemacht und ist nun von der Biene abhängig. Das sogenannte Bienensterben, also ein Verschwinden der Bienenvölker, resultiert direkt aus Problemen, die die Bienen mit Krankheiten und Umwelt haben und indirekt durch einen Rückgang an Imkern, denen der wachsende Aufwand gesunde Bienenvölker zu erhalten, zu groß wird. Das gesamte Problempaket rund um das Bienensterben erfordert vielfältige Maßnahmen zum Gegensteuern.

MM: Gibt es eigentlich so etwas wie "Krieg" zwischen Bienenvölkern?

Prof. Tautz: Der stärkste Konkurrent des Menschen ist der Mensch, der stärkste Konkurrent eines Bienen Volkes sind die anderen Bienenvölker. In Zeiten knapper Tracht - so nennt der Imker das Blütenangebot, von dem die Bienen Nektar und Pollen beziehen - kommt es nicht selten vor, dass kopfzahlmäßig schwache Völker von starken Völker regelrecht überfallen und ausgeraubt werden, da deren Honigvorrat in diesen Notzeiten hohe Begehrlichkeiten weckt. Dieser "Krieg" kann zur totalen Vernichtung des schwächeren Volkes führen.

MM: In wie weit lassen sich die Erfahrungen aus dem Projekt auf andere Tiere und andere Länder übertragen? Können Sie sich vorstellen, dass eines Tages Biologen in Deutschland z.B. bei einem Projekt "Elefantos" von den Erkenntnissen einiger Forscher in Afrika profitieren?

Prof. Tautz: Das spannende an der Forschung ist, dass man nie vorhersagen kann, wohin der Weg führen wird. Ein Nutzen über Projektgrenzen oder gar Fachgebietsgrenzen hinweg setzt voraus, dass ein entsprechender Informationsfluss stattfindet. Die zunehmende Spezialisierung der Forschungsbereiche steht dem leider allzu oft im Wege, der aufgeschlossene neugierige Blick über den Tellerrand ist nicht die Regel.

MM: Muss man Student oder Schüler sein, um bei dem Projekt mitzumachen, oder kann auch ein privater Hobby-Imker davon profitieren, und wenn ja, was müsste er zahlen?

Prof. Tautz: Das Projekt HOBOS ist eine non-Profit-Projekt für jedermann, also auch für Imker. Die Einrichtung und der Unterhalt von HOBOS, das ja global allen Menschen verfügbar gemacht wird, werden durch Spenden an die Bienenforschung Würzburg e.V. ermöglicht. Hier ist Unterstützung in Form einer steuerlich absetzbaren Spende immer sehr willkommen!

MM: Prof. Tautz, wir danken für das Interview.

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