Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit PD Dr. Yousefi
 

Muslim-Markt interviewt
PD Dr. Hamid Reza Yousefi - Herausgeber des Buches "Menschenrechte im Weltkontext"
28.7.2013

PD Dr. Hamid Reza Yousefi ist 1967 in Teheran (Iran) geboren. Nach seiner Schulausbildung im Iran kam er nach Deutschland und begann hier ein Philosophie- und Pädagogikstudiums an der Universität Trier, dass er 2001 abschloss. Ausgestattet mit einem Stipendium nach dem Landesgraduiertenförderungsgesetz Rheinland-Pfalz arbeitete er anschließend an seiner Dissertation mit dem Titel: "Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings - Eine interkulturelle philosophische Orientierung", die er 2004 abschloss. Zwischen 2002 und 2004  initiierte er die Schriftenreihen "Bausteine zur Mensching-Forschung" und "Interkulturelle Bibliothek" sowie später weitere Schriftenreihen. Es folgte ein Postdoktorandenstipendium der Fritz Thyssen Stiftung zur Ausarbeitung des Werkes Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen. Das Islambild im christlichen Abendland". Seit 2006 ist er Lehrbeauftragter für Philosophie, Geschichte der Philosophie und interkulturelle Philosophie an der Universität Koblenz. Seit 2010 ist er Privatdozent für interkulturelle Philosophie und Geschichte der Philosophie an der Universität Koblenz-Landau und hat die Forschungsstelle für Interkulturelle Philosophie mitgegründet. Seit 2011 ist er Leiter des Instituts zur Förderung der Interkulturalität.  PD Dr. Yousefi ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten, zuletzt der Artikelsammlung "Menschenrechte im Weltkontext" in einem renommierten Wissenschaftsverlag. Bei seinen Arbeiten kommen ihm seine sehr guten Sprachkenntnisse in deutsch, englisch und persisch zugute.

PD Dr. Yousefi, ist verheiratet und lebt im Großraum Trier.

MM: Sehr geehrter Herr PD Dr. Yousefi, was war der Anlass für das Buch "Menschenrechte im Weltkontext" ?

PD Dr. Yousefi: Es ist eine Tatsache, dass die gesamte Geschichte der Menschheit samt den wissenschaftlichen Errungenschaften von den europäisch-westlichen Wissenschaftlern geschrieben worden ist. Nach mehrjährigen Forschungen auf dem Gebiet der vergleichenden Geisteswissenschaften ist mir die Einseitigkeit dieser Geschichtsschreibung klar geworden. Meine Aufgabe als Wissenschaftler ist, diese Einseitigkeit offenzulegen.

MM: Was meinen Sie damit?

PD Dr. Yousefi: Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Einseitigkeit ein großes Hindernis des interkulturellen Dialogs darstellt, weil die Welt aus einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet wird.

MM: Sie beschreiben, dass im Zentrum der Menschenrechte die universelle Würde des Menschen steht, wie es ja letztendlich auch der erste Artikel des Grundgesetzes garantiert. Ist ein Begriff wie "Würde" denn überhaupt definierbar ohne einen religiösen Kontext?

PD Dr. Yousefi: Ich möchte klarstellen, dass Religion die Grundlage aller Zivilisation und Tradition ist. Betrachten wir die Geschichte der Religion, so wird uns klar, dass es gerade die Religionen waren, die diese Würde im Menschen entdeckten und es auch Menschen waren, die diese Würde verletzt haben.

MM: Bei der Beschreibung der Menschenrechte innerhalb der Religionsgemeinschaft haben sie mit Zarathustratum, Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam,  Sikh-Religion, Schintoismus, Freimaurerei, Bahai-Religion, Ahmadiyya, und Yezidentum ein beachtlich umfangreiches Umfeld berücksichtig. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Religionen im Bereich der Menschenrechte?

PD Dr. Yousefi: Wie gesagt, alle Religionen, wenn auch unterschiedlich, fungieren als Hüter der menschlichen Würde. Sie wollen aus uns bessere Menschen machen und uns den Weg zur Vervollkommnung zeigen, vom Hinduismus abgesehen, in dem ein Kastensystem wirksam ist. In allen Religionen, vornehmlich dem Islam, hat der Mensch Rechte und Pflichten. Rechte gegenüber sich und seinem Schöpfer gegenüber, und Pflichten gegenüber seinen Mitmenschen.

MM: Und welche Gegensätze sind zu überwinden?

PD Dr. Yousefi: Religionen sind per se sichtbar gewordene Liebe. Die Wortführer der Religionen sind es, die alleinseligmachende Ansprüche geltend machen wollen. Dies trägt dazu bei, Menschen anderer Glaubensgemeinschaften nicht als gleichwertig zu betrachten oder gar zu bekämpfen. Bedenken Sie die Kreuzzüge, die Inquisition und sämtliche andere Eroberungszüge der Religionen.

MM: Ihre Arbeiten sind ganz offensichtlich geprägt von Ihrer intensiven Forschung über Gustav Mensching, über den Sie ja auch eine Schriftenreihe herausgegeben haben. Kernaussage Menschingt zur Religion war die "erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen". In wie weit ist den der Begriff des "Heiligen" in der modernen Wissenschaft überhaupt Gegenstand der Untersuchung und heute noch vermittelbar?

PD Dr. Yousefi: Es gibt mehrere Traditionslinien innerhalb der Wissenschaft. Phänomenologen halten an der Kategorie des Heiligen fest, während Philologen diese restlos ablehnen. Fakt ist, dass die Idee des Heiligen in allen Religionen, vornehmlich im Islam und Christentum, wirksam ist. Es ist klar, dass die gläubigen Menschen unterschiedliche Zugänge zum Heiligen haben. Das Heilige kann im Christentum Jesus und im Islam Allah sein. In den modernen Wissenschaften ist in der Regel eine atheistische Aufklärung vorherrschend, die alles kategorisch ablehnt, was mit dem Numinosen zusammenhängt. In diesem Moment werden die modernen Wissenschaften fundamentalistisch, weil sie sich als Religionsersatz begreifen.

MM: Besteht nicht genau darin das Dilemma der Zeit, dass eine atheistische Strömung - sei sie laizistisch oder säkular - für sich vereinnahmt die Werte definieren zu wollen und nicht einmal der Wert "Menschenwürde" ohne Religion definierbar wäre?

PD Dr. Yousefi: Ich würde weitergehen und meinen, gerade daran entzündete sich ein Kampf zwischen Tradition und Moderne. Letztere versteht sich und propagiert auch die materialisierte Transzendenz. Dass hier bisweilen eine bestimmte Form von Menschenwürde per Definitionen verabsolutiert wird, ist ein theoretisches und praktisches Dilemma, das nur mit der zum Argument gewordenen Macht gelöst worden ist. Religionen, so meine ich, sind Urheberinnen und zugleich Hüterinnen der Menschenwürde.

MM: Atheismus ist stark gekoppelt an Materialismus und damit Kapitalismus? wie kommt es, dass abgesehen von einigen wenigen "Linken" die Verteidigung der Menschenwürde angesichts des weltweiten Engagements der Bundeswehr und vieler Verwerfungen der Zeit immer weniger von der Wissenschaft und den Wissenschaftlern erfolgt und man das Gefühl erhält, als wenn die Geisteswissenschaften in Deutschland ausgestorben sind?

PD Dr. Yousefi: Geisteswissenschaftler, die ich kenne, wie bspw. Otfried Höffe und viele andere verteidigen faktisch die Menschenwürde nach den Maßstäben des Westens. Andere Meinungen zu dieser existentiellen Frage werden der eigenen untergeordnet oder marginalisiert. Es ist schwer, neue Wege zu gehen. Das Wagnis des Neuen auf dem Gebiet der Menschenrechte und Menschenwürde ist ein heißer Boden, auf dem man nicht offen reflektieren kann, sondern nur in einem bestimmten Rahmen, wenn man sich keinen Gefahren aussetzen will. Diese Problematik habe ich in meinem Interview mit Irananders unter dem Titel „Eurozentrismus in der Wissenschaft“ eingehend diskutiert.

MM: In unserer Gesellschaft werden Menschenrechte - zumindest nach Ansicht vieler - doch sehr geachtet; oder?!

PD Dr. Yousefi: Dies ist nur bedingt richtig. Der Fall des US-Geheimdienstlers Snowden hat gezeigt, wie in unserer freien Gesellschaft mit Menschenrechten und Menschenwürde umgegangen wird. Weil er amerikanische Spionage weltweit offenlegt, darf kein Land ihm Asyl gewähren. Stellen Sie sich einmal vor, Snowden würde iranische, russische oder chinesische Spionage aufdecken. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, dass er dann vielleicht einen Nobelpreis für seinen Mut erhalten hätte. Hier sieht man, wie mit zweierlei Maß gemessen wird, dass Menschenwürde als eine geistige Waffe jede Haltung entwaffnen kann.

MM: Ihre Arbeiten sind sehr stark an das "Interkulturelle" gekoppelt. Warum erhält ein Weltreisender in Deutschland das Gefühl, dass Interkulturalität hier besonders schwierig ist. Deutschland hat keine ausgeprägte koloniale Vergangenheit. Was eigentlich ein Vorteil beim Umgang mit anderen Kulturen sein sollte, scheint sich zum Nachteil zu verkehren. Wie ist das zu erklären und was tut die Wissenschaft dagegen?

PD Dr. Yousefi: Das ist richtig. Wenn es keine Defizite gäbe, würde ich nicht auf dem Gebiet des Interkulturellen arbeiten. In einer Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, vornehmlich in „Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen“ habe ich gezeigt, dass das Bild des Fremden, insbesondere das Islambild, seit der ersten Koranübersetzung durch Petrus Venerabilis einseitig und konfliktiv gewesen ist. Wenn man sich mit Menschen in Deutschland unterhält, was ich seit 23 Jahren tue, stellt man eine feine Persönlichkeit fest, die aber durch Medien und Politik häufig so eingelullt ist, dass sie ungefragt Konstrukte als Wirklichkeit auffassen. Dies macht es schwer, sich für das Interkulturelle stark zu machen. Ernst zu nehmende Projekte bekommen keine finanzielle Förderung.

MM: Was sind Ihre zukünftigen Projekte?

PD Dr. Yousefi: Seit etwa 15 Jahren arbeite ich an drei Projekten, die für mich existentielle Bedeutung haben und ohne die ich nicht wissenschaftlich sein möchte. Ich bearbeite eine Einführung in die islamische Philosophie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, eine Einführung in die Grundbegriffe der Völkerverständigung und ein interkulturelles Wörterbuch. Ohne finanzielle Zuwendung ist es mir gelungen, diese drei Projekte, wie alle anderen Projekte auch, voranzutreiben. Für die letzten Schritte dieser drei Projekte fehlen mir finanzielle Mittel. Ich bekomme deshalb keine Gelder, weil meine Loyalität nicht einer bestimmten Politik gilt, sondern einzig und allein einem bedingungslosen interkulturellen Dialog. Meine Unabhängigkeit ist ein Grund, warum mir finanzielle Unterstützung verwehrt bleibt. Meine Devise bleibt aber, wo es einen Willen gibt, dort gibt es auch einen Weg. Ich bin mir sicher, dass die Geschichte der Menschenrechte, wie alle anderen Geschichten, neu geschrieben werden muss, wenn uns sehr ernst daran liegt, eine dialogische Völkerverständigung zu betreiben.

MM: PD Dr. Yousefi, wird danken für das Interview.

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