Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit Dr. Daibes

 

Muslim-Markt interviewt
Dr. Khouloud Daibes, Botschafterin Palästinas in Deutschland
11.2.2016

Dr. Khouloud Daibes Abu Dayyeh wurde 1966 in Bethlehem in eine katholische Familie hineingeboren. Sie ist in Jerusalem aufgewachsen. Im Anschluss an ihr Architekturstudium an der Universität promovierte sie über die Erhaltung des palästinensischen Kulturerbes. Nach ihrer Rückkehr im Jahr 1995 nach Palästina übernahm sie die Leitung des Zentrums für Kulturerbe in Bethlehem und war als Denkmalpflegerin und Stadtplanerin tätig. In dieser Zeit lehrte sie auch an der Universität in Bethlehem. Von März 2007 bis Juli 2012 war sie Ministerin für Tourismus und Altertümer sowie für Frauenangelegenheiten. Seit dem 28. August 2013 ist Dr. Daibes als Botschafterin Palästinas in Deutschland akkreditiert.

Dr. Khlouloud Daibes ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt zurzeit in Berlin.

MM: Sehr geehrte Frau Dr. Daibes, während Ihre Kollegen in über 130 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, darunter auch Mitglieder der EU, als Botschafter eine Botschaft leiten, dürfen Sie in Deutschland lediglich eine "Mission" leiten. Haben Sie Verständnis für die deutsche Politik?

Dr. Daibes: Deutschland und Palästina verfügen über sehr gute, in den vielen Jahren gewachsene Beziehungen. Als Botschafterin erfahre ich die gleiche Behandlung wie alle anderen akkreditierten Missionsleiter und –leiterinnen in Deutschland. Dies bedeutet, als Botschafterin Gespräche auf der gleichen Augenhöhe zu führen, wie auch meine Kollegen. Der Titel „Palästinensische Mission“ hat mit der Tatsache zu tun, dass die Bundesrepublik den Staat Palästina noch nicht anerkannt hat, aber es hoffentlich bald tun wird.

MM: Bereits mehrfach haben Sie sich mit einem offenen Brief an bestimmte Teile der deutschen Bevölkerung gewandt, z.B. beim Gaza-Krieg, ohne dass die Medien das hinreichend gewürdigt haben. Zuletzt haben Sie sich mit einem offenen Brief an die Medienvertreter gewand. Was war der Anlass?

Dr. Daibes: Die Medien spielen in Deutschland bei der öffentlichen Meinungsbildung eine sehr wichtige Rolle. Ende des vergangenen Jahres wurden eine ganze Reihe von Presseartikeln veröffentlicht, die sachlich falsche oder irreführende Aspekte enthielten. Es war mir sehr wichtig, darauf zu reagieren und die Medienvertreter zu mehr Sensibilität im Rahmen der Berichterstattung zu ersuchen. In dem betreffenden Brief habe ich bereits gesagt, dass wir glauben, dass objektive Fakten für sich sprechen. Wir wünschen nichts mehr als das, aber wir erwarten auch nicht weniger.

MM: Glauben Sie ernsthaft, dass die Medienvertreter das nicht wissen und nur versehentlich den zionistischen Sprachgebrauch übernommen haben?

Dr. Daibes: Man darf hier keine Verallgemeinerung vornehmen. Es ist wichtig, die Medien auf die aktuelle Situation aufmerksam zu machen. Ob die Verzerrung nun versehentlich oder absichtlich erfolgte, die Berichterstattung sollte sachlich und nicht einseitig sein. Es sind auch eine Reihe von sehr guten Artikeln erschienen, die auf klare und faire Art die Realität darstellen.

MM: Ihre Geburtsstadt Bethlehem liegt in den besetzten Gebieten und ist von einer Mauer nahezu umzingelt. Dennoch entsteht hier in Deutschland der Eindruck, als wenn das christliche Deutschland eher auf der Seite der Besatzer steht als an der Seite der besetzten Glaubensgeschwister. Wie wird das Verhalten Deutschlands in Palästina wahrgenommen?

Dr. Daibes: In der Bundesrepublik gibt es viele verschiedene Ansichten und Positionen. Die Bundesregierung leistet seit Jahrzehnten auf verschiedenen Ebenen Finanz- und Entwicklungsunterstützung. Zudem gibt es eine Vielzahl von NGOs und Privatpersonen aus der Zivilgesellschaft, mit denen wir eng zusammenarbeiten und deren Arbeit sehr unterstützend wirkt. All diese Arten von Engagement schätzen wir sehr. Jedoch wünschen wir uns eine engagiertere Rolle der Bundesregierung im politischen Prozess. Das ist etwas, was ich regelmäßig mit meinen Kollegen in der Regierung anstrebe.

MM: In Deutschland wird einerseits von einer so genannten Zwei-Staatenlösung gesprochen und andererseits so gut wie nichts unternommen, wenn immer weitere Teile der besetzten Gebiete faktisch annektiert werden, wie durch den unaufhörlichen Siedlungsbau und jüngst sogar der Beschlagnahme von Ackerland. Was würden Sie sich von der deutschen Politik in solch einer Situation wünschen?

Dr. Daibes: Die Bundesregierung hat mehrfach den Siedlungsbau und Landannektierungen verurteilt. Sie vertritt die konstante Position, dass diese Aktivitäten gegen das internationale Völkerrecht verstoßen. Mit diesem Hintergrund erwarten wir, dass die Bundesregierung ihre Auffassung in die Tat umsetzt. Das bedeutet sicherzustellen, dass weder öffentliche noch private Einrichtungen weder direkt noch indirekt die Ausweitung der israelischen Souveränität über die so genannte Grüne Linie hinaus unterstützen. Bedenken Sie, dass die Siedlungen Teil eines umfassenden Unternehmensverbundes sind und mit ihnen unzählige Menschenrechtsverletzungen einher gehen.

MM: Israel wendet immer wieder eine Form von Kollektivstrafe an, indem sie die Häuser der Eltern von mutmaßlichen Terroristen zerstört, was eindeutig gegen jegliches Völkerrecht und gegen das internationale Recht verstößt. Dennoch wird Israel nie für solche Vergehen bestraft. Worin gründet sich die Hoffnung palästinensischer Politiker, wenn Israel nie zur Rechenschaft gezogen wird?

Dr. Daibes: Unsere Hoffnung gründet sich darauf, dass ab einem gewissen Punkt der politische Wille erwächst, Israel für seine internationalen Rechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Das Völkerrecht regelt die Beziehungen auf Grundlage der Gleichrangigkeit. Es ist ein unparteiischer, universeller Standard, nachdem alle Staaten zur Rechenschaft gezogen werden können. Welche anderen Möglichkeiten gibt es? Zwischen Palästina und Israel besteht ein enormes Machtungleichgewicht, was bedeutet, dass eine gerechte und faire Lösung nicht ohne Unterstützung von außen erreicht werden kann.

MM: Es ist ein Gebot der Logik aber auch des Völkerrechts, dass sich besetzte wehren dürfen und Besatzer nicht besetzen dürfen. In Palästina wird dieses Gebot auf den Kopf gestellt. Palästinenser dürfen sich niemals wehren und der Besatzer darf ungestört seine Besatzung ausweiten. Welche Möglichkeiten haben unter solchen Umständen friedliebende Menschen, die offensichtlich zunehmende Verzweiflung im Volk, die sich in Verzweiflungstaten ausdrückt, in Hoffnung umzuwandeln?

Dr. Daibes: Das Palästinensische Volk lebt in einer absurden Situation. Es wird als besetztes Volk immer wieder dazu aufgefordert, für die Sicherheit seiner Besatzer zu sorgen. Der einzige Weg, den Menschen Hoffnung zu geben, ist die Besatzung zu beenden. Ihnen müssen die gleichen Rechte zugestand werden, auf die alle Menschen Anspruch haben. Die israelische Regierung muss erkennen, dass dieser Konflikt nicht militärisch gelöst werden kann. Jeder Mensch hat das Recht auf Sicherheit und ein Leben ohne Angst. Sobald wir das erreicht haben, werden wir auch Frieden haben.

MM: Der Apartheidstaat Südafrika war erst dann zu Kompromissen und Abkehr von der Apartheid zu bewegen, nachdem fast die ganze Welt den Staat boykottiert hat außer Israel. Welche Chance sehen Sie, dass Israel abkehrt von seiner Besatzungspolitik und Apartheid, wenn es doch kaum einen ernsthaften Schaden befürchten muss?

Dr. Daibes: Die israelische Regierung muss erfahren, dass die Besatzung Palästinas ein Kostenträger ist. Momentan ist die Besatzung für sie rentabel. Warum sollte sie also bereitwillig diese aufgeben? Ja, Druck ist in hier erforderlich und es gibt verschiedene Meinungen dazu, welcher Art er sein soll. Die Strategie der PLO basiert auf dem friedlichen Widerstand gegen die Besatzung. In diesem Rahmen rufen wir alle Staaten dazu auf, ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht nachzukommen und sicherzustellen, dass sie weder direkt noch indirekt in jeglicher Art die Besatzung Palästinas unterstützen und damit auch verfestigen.

MM: Auch dem Volk in Deutschland wird eingeredet, dass der Boykott zionistischer Waren Antisemitismus sei, um es davon abzuhalten. Wie können Sie erklären, dass Antisemitismus und Antizionismus zwei sehr unterschiedliche Dinge sind?

Dr. Daibes: Zwischen Judentum und Zionismus gibt es einen Unterschied. Jede Art von Handlung, die das Verhalten der israelischen Regierung zu beeinflussen versucht, richtet sich gegen die Missachtung des Völkerrechts und hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Daher gibt es auch eine zunehmende Anzahl von jüdischen Einzelpersonen und Organisationen auf der ganzen Welt, die ihre Einwände gegen Israels Verhalten öffentlich zum Ausdruck bringen.

MM: Christliche Palästinenser glauben an Jesus und die Heilige Maria und ihre Wundergeburt. Sind Sie als Frau aus Bethlehem manchmal überrascht, wie wenig viele Christen hier in Deutschland über Jesus, Maria, Pfingsten und Bethlehem wissen und hat die oft beobachtete Gleichgültigkeit bezüglich des Schicksals von Bethlehem und Jerusalem evtl. damit zu tun?

Dr. Daibes: Das kann ich nach meinen Erfahrungen nicht vorbehaltlos bestätigen. Es gibt eine Reihe von engen Bindungen zwischen der Kirche und christlichen Organisationen in der Bundesrepublik und Palästina.

MM: Abschließende Frage: Können Sie sich nach all dem, was nunmehr über sieben Jahrzehnte geschehen ist, ein friedvolles Zusammenleben vom Juden, Christen und Muslimen im Heiligen Land vorstellen?

Dr. Daibes: Natürlich. Menschen verschiedener Glaubensrichtungen lebten seit Jahrhunderten friedlich neben- und miteinander. Eines Tages wird dies wieder der Fall sein.

MM: Frau Dr. Daibes, wir danken für das Interview und wünschen den Menschen in Palästina Frieden.

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