Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit Gertrud Martin

 

Muslim-Markt interviewt
Gertrud Martin, Bundesvorsitzende im Verband Familienarbeit e.V.
13.10.2017

Gertrud Martin (Jahrgang 1936) ist staatlich geprüfte Hauswirtschaftsleiterin und hat fünf Kinder groß gezogen. Im Anschluss empfand sie die politische Arbeit zur ökologischen, sozialen und ökonomischen Zukunftssicherung für die nachwachsende Generation als logische Weiterführung ihrer Lebensaufgabe. In den 1980ern hat sie sich in Villingen-Schwenningen für die Freien Wähler (FW) im Rahmen der Kommunalpolitik eingesetzt. Ende der 1980er-Jahre war sie Stadtverbandsvorsitzende der FW. Im Jahr 1990 wurde sie als "das grüne Gewissen" der FW-Fraktion in den Gemeinderat gewählt. 1992 wurde Sie Mitglied in der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) Deutschlands, übernahm die Leitung des Kreisverbands Schwarzwald-Baar und trat 1998 als Wahlkreisbewerberin zur Bundestagswahl an. Sie war als familienpolitische Sprecherin im ÖDP-Landesvorstand und Leiterin des Bundesarbeitskreises Familienpolitik der ÖDP. Seit 2010 ist sie Bundesvorsitzende des Verbands Familienarbeit e.V., der sich aus der Deutschen Hausfrauengewerkschaft (dhg) gebildet hat. Sie gründete die regionale Bürgerinitiative "Umweltgerechte Müllpolitik", rief die erste Gebrauchtwarenbörse "Verschenken statt Wegwerfen" ins Leben und war Vorstandsmitglied des BUND.

Frau Martin lebt mit ihrem Ehemann in Villingen-Schwenningen

MM: Sehr geehrte Frau Martin, Sie sind letztes Jahr 80 Jahre alt geworden, gibt es für Sie keinen Ruhestand ?

Martin: Dass ich schon so alt bin, sehe ich nur im Spiegel. Ich fühle mich nicht so. Wenn ich morgens aufstehe, habe ich immer viel vor.

MM: Sie haben die Generation Trümmerfrauen selbst miterlebt. Hat sich seither die Situation der Hausfrau in Deutschland verbessert?

Martin: Natürlich hat sich seither für uns Deutsche vieles verbessert, aber die Hausfrauen, die ja die Trümmerfrauen waren, haben sich wieder auf ihre Rolle zurückgezogen und wurden dann durch die aufkommende Emanzipationsbewegung der Frauen ganz in den Hintergrund gedrängt.

MM: Hausfrau - oder heute würde man sagen Familienmanagerin - war einstmals eine Art Ausbildungsberuf mit entsprechender Lehre und einer sehr umfassenden Bildung in sehr vielen Disziplinen wie Finanzbuchhaltung, Hygienemanagement, Lebensmitteltechnik, Lagerlogistik, Krankenpflege, Schulbegleitung und Nachhilfe, Textilverarbeitung und vieles andere mehr. Warum ist der Beruf heute so unattraktiv geworden?

Martin: Nein, das sehen Sie nicht ganz richtig. Hausfrau wurde man durch Heirat, und die Ausbildung dazu bekamen die Mädchen durch ihre Mütter und die Mitarbeit im elterlichen Haushalt, meist bei mehreren Geschwistern. Die Qualifikationen, die Sie nennen, waren da mehr oder weniger inbegriffen und wurden im eigenen jungen Haushalt nach Bedarf vervollkommnet. Es konnte allerdings auch ein Lehrgang mit Abschlussprüfung und Ausbilderbefähigung zur Meisterhausfrau absolviert werden. Daneben gab es – wie heute immer noch – richtige, mehrjährige Ausbildungsgänge mit Examen zu verschiedenen hauswirtschaftlichen Berufen. Diesen Weg habe ich bewusst gewählt, u.a. weil ich mir schon immer eine große Familie wünschte.

MM: ... und warum ist der Beruf oder die Berufung Hausfrau heute so unattraktiv?

Martin: Es gibt mehrere Gründe, warum der Beruf der Hausfrau und Mutter heute so unattraktiv geworden ist: Infolge der Rentenreform von 1957 wurde der Lohn der Arbeit des Aufziehens einer nächsten Generation, nämlich die Existenzsicherung im Alter durch die erwachsen gewordenen Kinder von der Erziehungsleistung abgekoppelt und an Erwerbsarbeit gebunden. Die Kinder mussten jetzt als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer/innen die Alterssicherung für alle alten Arbeitnehmer/innen finanzieren. Mütter, die nicht erwerbstätig gewesen sind, erfahren in diesem System fast keine Gegenleistung für ihre Erziehungsarbeit mehr, egal wie viele Kinder=Rentenzahler sie aufgezogen haben. Dagegen erhalten Arbeitnehmer/innen, die - aus welchen Gründen auch immer - keine eigenen Kinder haben, meist die höheren Renten, weil sie keine Ausfallzeiten in ihrer Erwerbsbiografie haben.

MM: Welche Folgen hatte das im Bewusstsein?

Martin: Aus dem Gesagten erschließt sich unschwer, dass Hausfrau und Mutter zu sein, mit Rückständigkeit, gar mit Dummheit assoziiert wird. Es passt nicht zusammen mit den modernen Vorstellungen von Frauenemanzipation und der Gleichstellung von Mann und Frau. Die gängige Frauen- und Familienpolitik ist bestrebt, die Frauen in gleicher Weise wie die Männer in die Erwerbsarbeitswelt zu integrieren. Kinder sind dabei hinderlich. Deshalb macht der Staat den Eltern großzügige Angebote, die Kinder so bald und umfänglich wie möglich in Kinderkrippen und Kindergärten betreuen zu lassen, um beide Eltern für die Erwerbsarbeit möglichst in Vollzeit freizustellen. Das schränkt aber die Wahlfreiheit der Eltern ein und bevormundet sie. Gesetzesänderungen im Scheidungs- und Unterhaltsrecht bewirken ebenfalls, dass die Nachteile und Daseinsrisiken, die Frauen in Kauf nehmen müssen, wenn sie sich dafür entscheiden, über mehrere Jahre zugunsten der Erziehung ihrer Kinder zuhause zu bleiben, immer unzumutbarer werden. Kurzum: Die gegenwärtige Gleichstellungspolitik kann niemals zur Gleichberechtigung der Frauen führen.

MM: Eigentlich hat niemand mit volkswirtschaftlicher Weitsicht Zweifel daran, dass die Leistung einer Mutter, die z.B. fünf Kinder für die nächste Generation erzieht und dadurch mindestens 20 Jahre Vollzeit beschäftigt ist, wertvoller für die Gesellschaft ist, als die Arbeit einer Kassiererin, die 20 Jahre an der Kasse in einem Supermarkt sitzt, ohne das Letztere abwerten zu wollen. Dennoch ist die Kassiererin, was die Rente betrifft, weitaus besser gestellt als die Hausfrau. Warum ist es seit Gründung der Bundesrepublik nicht gelungen, die Rechte der Hausfrau und Mutter in Bezug auf die Rente derart zu stärken, dass sie auch ohne zusätzlichen Beruf eine Rente erhält?

Martin: Offenbar haben doch Leute mit entscheidendem Einfluss eine andere Sichtweise. Sonst könnten die Dinge nicht so liegen wie sie liegen. Eine Mutter, die nach 1992 geboren hat, erhält pro Kind drei Rentenpunkte. Ohne gleichzeitige Erwerbstätigkeit müsste sie 15 Kinder großziehen, um eine Standardrente (heute 1396 € brutto für die alten Bundesländer) zu bekommen. Warum angesichts des deutschen Geburtendefizits immer weiter die Erwerbsarbeit vergöttert und die elterliche Erziehungsleistung diffamiert wird, frage ich mich seit Jahren. Selbstverständlich haben jetzt die Väter, wenn sie sich im Sinne der Gleichstellung stärker in der Familie engagieren, die damit verbundenen Benachteiligungen zu übernehmen. Das ist wahrlich kein Fortschritt!

MM: Die Arbeitsleistung einer mehrfachen Vollzeitmutter übertrifft – insbesondere während die Kinder noch klein sind - bei weitem die Leistung des die Familie versorgenden Vaters. Was halten Sie von der Idee, dass dieser Mutter ein bestimmter Anteil des Einkommensüberschusses gesetzlich als Gehalt zusteht und bei niedrigem Familieneinkommen, der Staat eine Art Müttergehalt zahlt?

Martin: Mit dieser Frage sprechen Sie das eheliche Güterrecht an. Wenn die Eheleute keinen Vertrag abschließen, der anderes bestimmt, gilt in Deutschland automatisch der Stand der Gütergemeinschaft. Anders als dieser Begriff es vermuten lässt, bedeutet das, dass zwar das während der Ehe Erworbene beiden Eheleuten gemeinsam gehört, dass aber während der Ehe allein der Partner, der das Vermögen erwirbt, ein Zugriffs- und Entscheidungsrecht über dessen Verwendung hat. Der nicht erwerbstätige Partner hat kein Recht, Kenntnis zu erhalten z.B. über den Stand des Vermögens, sondern nur Anspruch auf ein Taschengeld. Erst bei Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung wird das Vermögen aufgeteilt. Nicht selten hat dann ein zur Scheidung entschlossener Partner „rechtzeitig“ die Konten abgeräumt. Diese (Un-)Rechtslage rechne ich z.B. auch mit zu den Gründen warum der Hausfrauenstand so unattraktiv ist.

MM: ... und wenn der Ehemann zu einer Art Ehefrauengehalt verpflichtet werden würde ...?

Martin: Ein Gesetz zu erlassen, das den erwerbstätigen Partner dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil seines Einkommensüberschusses dem nicht erwerbstätigen Partner abzutreten, halte ich nicht für vereinbar mit dem deutschen Grundgesetz. Der Staat darf nicht in die Familien hineinregieren. Was er ja – wie wir sehen – an anderer Stelle sehr wohl und intensiv tut! Vielleicht gäbe es dann auch noch mehr Streit ums Geld? Im Übrigen: Ab welcher Grenze wollten Sie ein „niedriges Familieneinkommen“ ansetzen?

MM: Aber sollte die Hausfrauenarbeit nicht ein Anrecht auf Entlohnung erhalten?

Martin: Ja, durchaus! Wir vom Verband Familienarbeit e.V. sehen das Thema Honorierung der elterlichen Erziehungsleistung, wenn Sie so wollen, ein „Müttergehalt“. Unter dem Begriff Erziehungsgehalt (EZG), der gegebenenfalls Väter gleichberechtigt einbezieht, vertreten wir diese Idee seit 40 Jahren. Das EZG ist die einzige Möglichkeit, Männer und Frauen ob mit oder ohne Kinder gesellschaftlich gleichzuberechtigen. Solange die Kinder der Eltern verpflichtet werden, später allen Erwerbstätigen eine Rente zu zahlen, sind auch vorher alle Erwerbstätigen zu verpflichten, sich an den Erziehungskosten durch Mitfinanzierung eines Erziehungsgehalts zu beteiligen.

MM: Frau Martin, wir danken für das Interview.

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